Tränen und Jubel bei der letzten Papstmesse in der Ukraine

Eine Million Menschen gedachten der Opfer von Nazis und Kommunisten

"Kathpress"-Korrespondentenbericht von Ludwig Ring-Eifel

Lemberg, 27.6.01 (KAP) Zum Abschluss seiner fünftägigen Ukrainereise hat Papst Johannes Paul II. mit rund einer Million Menschen einen bewegenden Gottesdienst im Andenken an die christlichen Opfer von Nationalsozialismus und Kommunismus gefeiert. Zu der vom griechisch-katholischen Großerzbischof von Lemberg, Kardinal Lubomyr Husar, zelebrierten Liturgie waren Menschen aus dem gesamten Land sowie aus den Nachbarländern angereist. Tausende von ihnen waren am Vorabend nach tagelangen Reisen in alten "sowjetischen" Bussen in Lemberg angekommen und hatten die Nacht über bei dem Gottesdienst-Gelände ausgeharrt. Auch der ukrainische Staatspräsident Leonid Kutschma und Mitglieder der Regierung wohnten dem Gottesdienst bei, in dessen Verlauf der Papst 27 Opfer der Gewaltherrschaft und eine Ordensfrau selig sprach.

Der letzte Massengottesdienst seiner an historischen Erinnerungen reichen Reise war nicht nur von der Zahl der Teilnehmer her ein herausragender Triumph für den Papst und die griechisch-katholische Bevölkerung in der Westukraine. Die unüberschaubare Menschenmenge, die sich auf einer früheren Pferderennbahn außerhalb von Lemberg eingefunden hatte, feierte ihren Sieg über ein menschenverachtendes System, das über Jahrzehnte die Religionsfreiheit unterdrückt und in der Ukraine vor allem die Angehörigen der griechisch-katholischen Minderheit grausam verfolgt hatte. Viele hatten Tränen in den Augen, als zu Beginn der zugleich ernsten und feierlichen Zeremonie an die Leiden und das Sterben der Bischöfe, Priester, Ordensfrauen und Laien erinnert wurde, die von den Schergen der SS und des KGB ermordet wurden.

Die Berichte über ihre Schicksale ließen noch einmal den Horror des 20. Jahrhunderts lebendig werden, in dem in der Ukraine Millionen von Menschen durch Gewaltherrschaft und Krieg ums Leben kamen. Für die Angehörigen der Märtyrer war die Seligsprechung Balsam auf ihre bis heute verwundeten Seelen.

Stellvertretend für viele hatte Ludmilla Lysko, die Witwe des 1949 von der Geheimpolizei ermordeten und jetzt selig gesprochenen Priesters Roman Lysko, am Vortag vor Journalisten in Lemberg darüber berichtet, wie das spurlose Verschwinden der Opfer die Familien damals in sprachlose Verzweiflung trieb. Eine knappe Mitteilung der Polizei über den Tod im Gefängnis ist bis heute alles, was die Angehörigen in Händen halten.

Die vermutlich entstellten Leichname der zu Tode Gefolterten verschwanden an unbekannten Orten. Über Roman Lysko ging seinerzeit im Gefängnis das Gerücht um, er sei lebendig in eine Betonwand eingemauert worden. Andere wurden in heißes Wasser geworfen oder gekreuzigt.

Insgesamt sprach der Papst 26 Stalinismus-Märtyrer aus der Westukraine und aus Transkarpatien selig, der letzte von ihnen, Bischof Iwan Slesiuk, starb im Dezember 1973 an den Folgen von jahrelanger Lagerhaft und Folterungen. Zusammen mit den Märtyrern der Sowjetherrschaft sprach der Papst auch den ukrainischen Priester Omeljan Kowtsch selig, der im Vernichtungslager Majdanek ermordet wurde, weil er Juden geholfen hatte. Die ukrainische Ordensschwester Josaphata Hordaschewska war die einzige der neuen Seligen, die eines natürlichen Todes gestorben ist.

Durch die Anwesenheit des zur orthodoxen Kirche gehörenden Präsidenten Kutschma erhielt die Zeremonie eine über die katholische Kirche hinausweisende nationale Dimension für die gesamte Ukraine. Die besondere Rolle der griechisch-katholischen Kirche, die im Stalinismus eine der letzten Hochburgen des religiösen und auch des politischen Widerstandes gegen die Diktatur war, wurde durch die ergreifende Zeremonie abermals hervorgehoben. Auch der Erzpriester Ioann Swiridow, der zum Moskauer Patriarchat gehört und als ökumenisch offen gilt, war nach Vatikan-Informationen bei der Liturgie anwesend, womit die Konfessionen und Staatsgrenzen übergreifende Dimension des Leidens der Märtyrer unter der Gewaltherrschaft unterstrichen wurde.

Der Papst ging in seiner Predigt ausdrücklich auch auf die Märtyrer der anderen christlichen Konfessionen ein und sagte, ihr gemeinsames Zeugnis sei für die Christen des 21. Jahrhunderts ein Auftrag zur Versöhnung und zur Einheit. So vermied er auch auf dem Höhepunkt seiner erfolgreichen Pilgerreise jeglichen Anflug von anti-orthodoxen Ressentiments oder von katholischem Triumphalismus. Stattdessen warb er noch einmal geduldig und mit großem Respekt vor der Gegenseite für die Versöhnung der getrennten christlichen Kirchen.

Kathpress
27. juni 2001

av Webmaster publisert 27.06.2001, sist endret 27.06.2001 - 14:52