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Publisert 4. september 2000 | Oppdatert 4. september 2000

Journalist und Vatikanspezialist stehle in der «Presse»: Pius IX. stand zu Lebzeiten «im Kreuzfeuer der Kritik»

Wien, 31.8.00 (KAP) Angesichts der Debatte um die Seligsprechung von Papst Pius IX. (1846-1878) hat der Journalist und Vatikanspezialist Hansjakob stehle daran erinnert, dass schon Papst Johannes XXIII. (1958-1963) sich gewünscht hatte, Pius IX. zur «Ehre der Altäre» erheben zu können. Mit Pius IX. und Johannes XXIII. würden am kommenden Sonntag gleichzeitig zwei sehr «ungleiche» Persönlichkeiten selig gesprochen, schreibt stehle in einem Beitrag für die Donnerstagausgabe der Wiener Tageszeitung «die Presse». Während der nur fünf Jahre regierende «gütige» weltoffene Reformpapst Johannes XXIII. unumstritten ist, werde mit Pius IX. ein Papst kanonisiert, der schon zu Lebzeiten «ins Kreuzfeuer der Kritik geriet».

Pius IX., am 13. Mai 1792 als Giovanni Maria Mastai-Ferretti in eine Familie des italienischen Landadels geboren, sei zwar ein «menschenfreundlicher, mystisch-frommer» Papst gewesen, aber auch ein «kräftig auf seine Autorität pochender», der «fragwürdige Dogmen» wie das der päpstlichen Unfehlbarkeit hinterließ. Stehle erinnert daran, dass die damals zweieinhalb Millionen Einwohner des absolutistisch regierten Kirchenstaates zunächst aufgeatmet hatten, als 1846 mit dem 54-jährigen Pius IX. ein neuer, «junger» Papst die Macht übernahm. «Das Volk jubelte ihm zu, weil er politische Gefangene freiließ, die Pressezensur lockerte und sogar den Bau der Eisenbahn förderte, die sein Vorgänger Papst Gregor XVI. noch als 'teuflische Erfindung' verdammt hatte», so stehle.

Der Wiener Staatskanzler Fürst Metternich habe «entsetzt und zweifelnd» reagiert, als Pius IX. sogar die nationalliberalen 1848er-Revolutionäre Italiens gegen Österreich zu begünstigen schien, und gemeint: «Ein liberaler Papst - das ist das Unmöglichste, was man sich denken kann!». Als allerdings der reformwillige Regierungschef des Kirchenstaats, Pellegrino Rossi, im Herbst 1848 auf offener Straße ermordet wurde, musste Pius IX. - als einfacher Priester verkleidet - über die Hintertreppe aus Rom fliehen. Erst nach 17 Monaten Exil in Gaeta habe er zurückkehren können.

Zu den Darstellungen, dieses Schockerlebnis habe aus dem «halbliberalen» einen radikal-konservativen Papst gemacht, merkt stehle an, der Ferretti-Papst sei «ein von Gefühlen hin- und hergerissener Mensch» gewesen. Er zitiert dazu den polnischen Grafen und preußischen Diplomaten Raczynski, der Pius IX. wegen «seiner Sensiblerie, Fantasterei und Exaltation» kritisierte.

Nachdem Pius IX. alle politischen Freiheitsregungen im Kirchenstaat unterdrückt hatte, habe er 1864 den «Syllabus», eine Verurteilung von 80 Irrtümern «unserer sehr traurigen Epoche», veröffentlicht. Zu den von Pius aufgezählten «modernen Sünden» zählen nicht nur Sozialismus und Liberalismus, Nationalismus und Rationalismus, sondern auch die Demokratie und die Gewissensfreiheit, die er eine «Freiheit zur Verdammnis» nannte, schreibt stehle. Folgerichtig habe er auch «die Vorstellung verdammt, ein Papst könne oder solle sich mit Fortschritt und moderner Zivilisation versöhnen».

Als Pius IX. 1869 das Erste Vatikanische Konzil einberief, um sich selbst und seine Nachfolger in Glaubens- und Sittenfragen «unfehlbar erklären zu lassen», so stehle, habe der damalige, lange Jahre in Rom lebende protestantische Kirchenhistoriker Ferdinand Gregorovius einen Stimmungsumschwung unter den katholischen Gläubigen festgestellt: «Viele glauben im Ernst, dass der Papst verrückt sei. Er hat mit Fanatismus bei diesen Dingen Partei genommen und Stimmen für seine Vergötterung selbst geworben».

Dennoch stimmte 1870 eine Mehrheit der Bischöfe beim Konzil für das Dogma der Unfehlbarkeit, «das eine Welle von Antiklerikalismus und bis heute nachwirkende Kulturkämpfe auslöste», so stehle. Doch kaum habe sich Pius IX. selbst «hochstilisiert» gehabt, sei er durch die politischen Entwicklungen im selben Jahr «schon wieder erniedrigt» worden: «Sein Rom wurde Hauptstadt des neuen Königreiches Italien. Grollend zog sich der Herrscher des untergegangenen Kirchenstaates hinter die Vatikanmauern zurück, als 'Gefangener', wie er sich selbst bezeichnete. Es war ihm gerade noch gelungen, den politischen Machtverlust durch einen religiösen Absolutheitsanspruch gleichsam zu kompensieren».

Heutige Kirchenhistoriker führten gegen die Seligsprechung Pius IX. nicht nur diese kirchenpolitischen Entscheidungen, sondern auch «erhebliche menschliche Schwächen» dieses Papstes an, hält stehle fest. Dazu zählten auch seine antijüdischen Vorurteile und Aktionen. «Setzt also eine Seligsprechung nicht die Glaubwürdigkeit einer Kirche aufs Spiel, deren heutiger Papst eben erst die Juden um Vergebung bat?», fragt der Journalist und Historiker.

Seine Seligsprechung würde nach Ansicht der Kritiker auch ein «Zerrbild von Heiligkeit» fördern und innerkirchliche wie ökumenische Spaltungen vertiefen, denn Pius IX. habe «überall nur Gott oder den Teufel» am Werk gesehen.

Kathpress

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