Olav der Heilige – Olav Haraldsson

Oversatt av John Landrø/p. Heinz-Josef Catrein

Vorwort

Über den Menschen und den Heiligen Olav Haraldsson zu schreiben, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Quellen, die über sein Leben Auskunft geben, sind mit wenigen Ausnahmen rund 200 Jahre jünger als seine Lebenszeit; zudem sind sie nicht hundertprozentig vertrauenswürdig. So wundert es uns nicht, dass die Autoren, die diesen Mann beschreiben wollten, zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Für den einen ist er ein brutaler Psychopath, für den anderen ein engelgleicher Heiliger ohne Saft und Kraft, der aus dem Christentum für seine eigenen politischen Interessen Nutzen zog. Entscheidend dabei ist immer der Blickwinkel, unter dem man ihn betrachtet.

Um den Charakter des heiligen Olavs in die Tiefe auszuloten, genügen bloße historische Kenntnisse nicht; der Biograph muss fähig und willens sein, sich in die Mentalität der Zeit König Olavs hineinzuversetzen. Seine Konversion und sein Christentum kann einer am besten beschreiben, wenn er selbst den blutigen Weg von heidnischer Rohheit zu einem Leben gegangen ist, das im Großen und Ganzen mit dem Willen Christi im Einklang steht.

Der Autor dieser Kleinschrift hatte von Jugend an seine lebendige Beziehung zu Olav Digre. Er versäumte es nie, in seinem Abendgebet den heiligen Olav um seine Fürbitte für Volk und Land anzuflehen. Der Umfang dieses Heftes ist begrenzt. Darum hat sich der Verfasser darauf beschränkt, Leben und Tod des Königs darzustellen, – sowie verständlich zu machen, wie er zum Heiligen geworden ist.

Viel geschrieben worden ist bereits über die Bedeutung, die der heilige Olav für die norwegische Geschichte von seinem Tode an bis in die Gegenwart gewonnen hat. Hier gehen die Meinungen weniger auseinander. Will man aber etwas über die Ausstrahlung des überirdischen heiligen Königs schreiben, muss man vorher den irdischen Olav Digre kennen, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit stand.

Olav Müller sscc


Olavs kindheit

Am Ende des 9. Jahrhunderts wurde auf Ringerike ein Junge geboren; man gab ihm den Namen Olav. Seine Mutter hiess Åsta, sein Vater war Harald Grenske. Er sollte seinen Sohn nie zu sehen bekommen. Harald war Kleinkönig in Vestfold, unternahm aber am liebsten Wikingerfahrten nach dem Osten. Dabei wurde er seine Frau untreu. Bei einem Aufenthalt in Schweden warb er um Sigrid Storråde. Sie sagte „nein”. Als Harald aber weiter drängte, sorgte sie dafür, dass er bei einem Brand ums Leben kam. Während dies geschah, war Åsta schwanger mit Olav.

Harald Grenske war ein Urenkel von Harald Hårfagre. In diesem Geschlecht lebten wertvolle Eigenschaften wie ein starker Wille und die Fähigkeit zu leiten, zu sammeln und zu organisieren; zugleich gab es auch dunkle Charakterzüge wie Wildheit, Grausamkeit, Rachgier, Habsucht und ein leichtfertiges Verhalten Frauen gegenüber. Alle diese Eigenschaften erbte Olav Haraldsson.

Seine Mutter Åsta heiratete später Sigurd Syr. Olavs Stiefvater war ein friedliebender Mensch, der seinem Bauernberuf sehr verbunden war. Tagtäglich war er draußen auf Äckern und Weiden, um nach den Rechten zu sehen. Er war ein ruhiger und besonnener Mann, klug und gesetzeskundig. Auf dem großen Bauernhof Sigurd Syrs wuchs Olav heran. Snorre schildert den Knaben so: ”Er wurde bald ein prächtiger Kerl. Es war eine Freude, ihn anzuschauen, – mittelgroß, stämmig gebaut, kräftig, mit hellbraunem Haar, breitem Gesicht, heller Haut und roten Wangen. Er hatte ungewöhnlich gute Augen; sie waren schön und so durchdringend, dass man nicht wagte, ihm in die Augen zu schauen, wenn er zornig war. Er war ein guter Sportler und konnte Vieles. Mit Pfeil und Bogen ging er geschickt um und traf sicher das Ziel. Im Speerwurf übertraf er die meisten. Er war geschickt und hatte einen Blick für jederlei Handwerk, er hatte an allem großes Interesse. Man nannte ihn „Olav Digre”. (Dieses Wort aus dem Altnorwegischen kann bedeuten ”dick” oder ”stämmig”. – Ich nehme an, dass Letzteres hier zutrifft; er selbst liebte diesen Beinamen.) Er redete kühn und freimütig, war, was Stärke und Verstand betrifft, frühzeitig erwachsen. Alle Verwandten und Bekannten schätzten ihn. Im Spiel war er ehrgeizig, er wollte immer der Erste sein.”

Sein Verhältnis zum Stiefvater war nicht das Allerbeste. Olav sah vielleicht ein bisschen von oben herab auf diesen Mann, der nur sein Land im Kopf hatte. Sigurd seinerseits fand wohl, dass Olav dummdreist im Reden war und oft ein loses Mundwerk hatte; ertrug es aber mit besonnener Gelassenheit. Zu seiner Mutter Åsta hatte Olav ein besseres Verhältnis. Zusammen schmiedeten sie Zukunftspläne. Olav wollte ein Wikinger werden

Olav der Wikinger

Mit zwölf Jahren ging Olav zum ersten Mal an Bord eines Kriegsschiffes. Die Besatzung ernannte ihn zu ihrem „Seekönig”; die Fahrt selbst leitete aber viele Jahre Rane, ein erfahrener Wikinger.

Die Wikingerzeit erstreckt sich über die Jahre von ca. 700 bis 1050. Warum gingen die Wikinger auf Fahrt? – Aus Mangel an fruchtbarem Boden! – Diese Theorie wird heute am meisten vertreten. Die meisten der tollkühnen Fahrten hatten ihren Ausgangspunkt in Westnorwegen. Die Geographen sagen, dass der Mangel an kultivierbarem Boden hier am größten war.

Es begann damit, dass wagemutige Norweger in fremde Länder segelten, um dort Handel zu treiben; später wurden auch Raubzüge daraus. Anführer auf diesen Fahrten waren vor allem Großbauern und Häuptlinge. Sie wollten zuhause in Norwegen gern auf grossem Fuße leben, liebten üppige Opferfeiern und Gastmähler. Dazu luden sie viele Gäste ein, die sie reichlich bewirten wollten. Dafür waren aber nun in den übervölkerten Siedlungen an der heimischen Küste die eigenen Vorräte zu knapp. So versuchte man, das Erforderliche durch Plünderungen im fremden Land zu beschaffen. Auf diese Weise gingen sie im Sommer auf Wikingerfahrt, im Herbst, Winter und Frühjahr lebte man dann auf den eigenen Höfen in Saus und Braus. Außerdem ergab sich so für den nicht-erbberechtigten Häuptlingssohn, der also nicht einen eigenen Hof bewirtschaften konnte, eine berufliche Alternative. Die Raubzüge in fremde Länder schafften ihm gratis die notwendigen Mittel. Viele Wikinger wurden am geraubten Gut steinreich. Im Kampf mit anderen Wikingern oder mit den stehenden Heeren der heimgesuchten Länder konnte man zuhause in Norwegen Ruhm und Ehre gewinnen. Letzteres war ebenso wichtig wie Geld und Gut. Andere traten die Fahrt übers offene Meer an, um vor allem Land zu gewinnen.

In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts organisierten Wikinger aus den nordischen Ländern das so genannte”große Heer”. Dieses wütete in Frankreich, Irland und England. Wenn die große Schar norwegischer, dänischer und schwedischer Wikinger an Land ging, blieb es nicht bei den Plünderungen; sie eroberten neues Land und gründeten Städte. In ihrem Kielwasser folgten norwegische Kaufleute und landhungrige Bauern. So unterwarfen sich norwegische Wikinger Island, die Inseln im Nordatlantik sowie Teile von England und Irland.

Wenn isländische Familienchroniken und Snorre in seiner “Heimskringla” über die Überfälle berichten, unterschlagen sie taktvoll die heidnische Rohheit, die sich zeigte, wenn sie mit Feuer und Schwert über friedliche Gegenden herfielen. Es werden immer wieder nur Heldenmut und Stärke im Kampf gegen andere Wikinger in schwülstiger Sprache besungen. Will man mehr über die Brutalität der Wikinger erfahren, muss man ausländische Literaturquellen durchforsten. Das christliche Europa stieß sich besonders an den Überfällen auf Kirchen und Klöster. Als die Klöster von Lindisfarne, Jarrow und Wearmouth an der englischen Ostküste von norwegischen Wikingern geplündert wurden, ging ein Schrei des Entsetzens durch ganz Europa. Der englische Gelehrte Alkuin schrieb z.B. in einem Brief an den englischen König Ethelred über den Überfall: ”Jetzt haben wir und unsere Vorfahren fast 300 Jahre in diesem heiligen Land gelebt. Niemals zuvor hat Britannien ein solches Grauen erlebt, wie das, das jetzt von einem heidnischen Volk über uns gekommen ist. Niemals hätte einer gedacht, dass ein solcher Überfall vom Meer her kommen könnte. Stell Dir vor: St. Cuthberths Kirche ist überströmt mit dem Blut von Gottes Priestern und allen Schmuckes beraubt. Ein Ort, heiliger als alle anderen Orte in Britannien ist eine Beute von Heiden geworden”. Um das Jahr 1000 – da lebte Olav Haraldsson bereits – gibt ein Schriftsteller folgenden erschütternden Bericht über den blutigen Überfall heidnischer, nordischer Wikinger: ”Im gleichen Jahr kamen Heiden aus den nordischen Ländern mit Waffengewalt über das Meer, wie stechende Wespen. Sie verbreiteten sich überall wie wilde Wölfe, raubten und machten nieder: nicht nur Zugtiere, Schafe und Ochsen, sondern auch Priester und Diakone und Scharen von Mönchen und Nonnen. Sie kamen auch zur Kirche von Lindisfarne und verwüsteten alles durch ihre grausamen Plünderungen, trampelten mit ihren unreinen Füßen auf den heiligen Orten herum, öffneten die Altäre und raubten alle Schätze in der heiligen Kirche. Einige der Brüder töteten sie, andere nahmen sie gefesselt mit, viele verjagten sie mit Spott und Hohn und einige ertränkten sie im Meer”.

Ein irischer Chronist fällt ein vernichtendes Urteil über das Verhalten der norwegischen Wikinger: ”Man hat eher den Sand des Meeres, oder die Halme der Äcker oder die Sterne des Himmels gezählt als das erzählt … was die Iren wegen ihnen leiden mussten. Seien es nun Männer oder Frauen, Knaben oder Mädchen, Laien oder Geistliche, Freie oder Leibeigene.” Nicht ohne Grund ergänzt das christliche Europa die Allerheiligenlitanei um eine neue Fürbitte: ”A furore Normannorum libera nos domine”. (Befrei uns Herr vom Wüten der Normannen).

Norwegische Historiker haben später versucht, das schlechte Bild der Wikinger ein wenig aufzuputzen. Sie weisen darauf hin, dass es diese Form der Kriegsführung in dieser Zeit auch in den anderen europäischen Ländern gab. Als persönliche Meinung möchte ich hinzufügen, dass man die enorme physische und psychische Stärke der Wikinger einfach bewundern muss. Ebenso ihren unbeugsamen Wagemut, ihren Siegeswillen, ihre technische Begabung und ihr Organisationstalent, das sich dort zeigte, wo sie sich niederließen. Die Medaille hat aber eine Kehrseite. Dort wo sie marschierten, floss das Blut in Strömen. Wenn sie von den Schiffen mit den teuflischen Drachenköpfen am Bug an Land sprangen, ergriff sie ein Blutrausch. Wir haben viele Berichte über ihr blutiges Vorgehen und ihre suveräne Menschenverachtung – sobald es sich um Personen außerhalb ihrer eigenen Sippe handelte.

Wir haben uns deshalb so lange bei der Wikingerzeit aufgehalten, um das Milieu zu verstehen, in dem der Heide Olav Haraldsson heranwuchs. Ich habe bereits vorher die negativen Eigenschaften angeschnitten, die Olav vom Geschlecht Hårfagre (Schönhaar) mitbekommen hatte: Wildheit, Grausamkeit, Habgier und sexuelle Zügellosigkeit. Die moderne Psychologie lehrt uns, dass schlechte Eigenschaften durch eine gute Erziehung und eine positive Umgebung in Schach gehalten werden können. Dies war genau das, was mit Olav nicht geschah. Alle seine wilden Triebe konnten sich in seiner Zeit als Wikinger frei entfalten. Gewissensbisse über sein blutrünstiges Verhalten hat er in den Jugendjahren zwischen 12 und 19 niemals gehabt. Wenn er arme Leute ausraubte, die tötete, die sich ihm widersetzten, Menschen gefangen nahm und als Sklaven verkaufte, wenn er Frauen schändete und Dörfer niederbrannte, kam ihm niemals der Gedanke, verwerflich zu handeln. Hier hatte er das ganze bäuerliche Norwegen auf seiner Seite, auf jeden Fall die Oberklasse. Seine eigene Mutter ermunterte ihn. Die Schiffmannschaft lobte den Draufgänger. So sollte es sein. Damals waren die Moralbegriffe anders als heute. Ich erwähne all dies, dass wir im späteren Bericht über Olav Haraldsson leichter verstehen, wie schwierig es für neubekehrte junge Männer war, sich nach christlichen Moralgeboten zu richten. Ja, wenn wir das, was er als junger heidnischer Wikinger erlebte und glaubte, näher bedenken, verstehen wir auch leichter die Rückfälle in heidnisches Verhalten, die auch nach der Bekehrung einfach kommen mussten. Sein Wikingergeist konnte sich nicht im Laufe einiger weniger Jahre unter den Willen Christi beugen.

Damit greifen wir aber dem Gang der Ereignisse voraus. Der Teenager Olav begab sich auf Wikingerfahrt nach Osten. Er wütete erst einige Jahre in den Ostseeländern. In Dänemark traf er einen anderen jungen Wikinger mit Namen Torkjell Höye. Die beiden verbündeten sich und zogen nach Westen. Drei Jahre lang machten sie Südostengland unsicher. Vergeblich versuchte das Wikingerheer, London einzunehmen. Später suchten sie die Ufer der Themse bis hinauf nach Oxford heim und besiegten die englische Landwehr bei Norfolk. Im Jahre 1011 eroberten die Wikinger Canterbury. Hier wurde Erzbischof Elphege als Geisel genommen, um König Ethelred zur Zahlung des “Dänentributs” zu zwingen. Als die Zahlung sich in die Länge zog, schlugen einige betrunkene Wikinger den Erzbischof tot. Trotzdem bekamen sie später 48000 Goldpfunde. Überreich an Kriegsbeute zog Olav nach Süden. Beim Herzog der Normandie meldete er sich zum Kriegsdienst. Später unternahmen sie eine Räuberfahrt entlang der spanischen Küste nach Süden und wollten ins Mittelmeer einfahren. Hier hatte er einen merkwürdigen Traum. “Ein Mann kam zu ihm, ein Mann, der auffiel, stark und zugleich furchteinflößend. Der Mann sprach zu ihm und bat ihn, sein Vorhaben weiterzuziehen aufzugeben. ‘Kehre zurück zu deinem Erbland, denn du sollst für ewige Zeiten König in Norwegen werden’. Er deutete den Traum so, dass er König über das Land werden sollte, und nach ihm sein Geschlecht für viele Jahre”. Vielleicht waren dies Gedanken, die lange in seinem Unterbewusstsein herumgespukt hatten, und sich nun in einem Traum niederschlugen. Oder war es Olav Tryggvason, der zu ihm sprach?

Sein Vorfahr Harald Hårfagre (Harald Schönhaar) hatte große Teile Norwegens zu einem Reich vereint. Jetzt war das Land wieder in kleine Reiche zerfallen, wo Jarle, Häuptlinge und ausländische Mächte herrschten. Als Verwandter von Harald Schönhaar betrachtete er es als seine Berufung, nach Norwegen zurückzukehren, um sein Erbe in Besitz zu nehmen. Für uns heute ist es nicht so einfach, diesen Gedankengang zu verstehen. Für Olav und seine Zeitgenossen war dies eine ganz klare Sache. Für uns ist es wichtig zu wissen, dass die Einigung Norwegens unter seinem Königtum von da an eine Gewissensfrage für den jungen Wikinger war.

Als Gast in der Normandie bei Herzog Richard II

Er segelt nach Norden und kommt nach Rouen. Hier überwintert er als Gast bei Herzog Richard II von der Normandie, einer Landschaft im nordwestlichen Frankreich. Norwegische und dänische Wikinger (= Normannen) hatten diese Landschaft 881 erobert. Zunächst lagen sie im Streit mit dem König der Franken. Später durften sie die Normandie unter der Bedingung behalten, das Land gegen feindliche Mächte zu verteidigen. Diese Wikinger ließen sich bekehren, nicht nur dem Namen, sondern auch der Gesinnung nach. Dies galt auch für Herzog Richard. Er war ein tüchtiger Staatsmann und ein eifriger Christ. An den dunklen Winterabenden bot sich die Gelegenheit für lange Gespräche zwischen dem jungen Olav und dem Herzog. Auch sonst hat er die Zeit gut genutzt. Aus Neugier hat er wohl zunächst die prachtvolle Kathedrale in Rouen besucht. Am Anfang verstand er sicher wenig von der Liturgie. Aber der gregorianische Choral, der mit seinen weichen, melodischen Tönen den Kirchenraum erfüllte, muss auf das harte Wikingergemüt eine besänftigende Wirkung ausgeübt haben. Vielleicht hatte er auch die Gelegenheit, mit dem reformfreudigen Erzbischof Robert von Rouen zu sprechen. Vielleicht besuchte er die zahlreichen Klöster und Klosterschulen in Rouen und Umgebung. Vielleicht unterhielt er sich mit den Mönchen, die er traf, über den christlichen Glauben. Eine plötzliche Bekehrung – so wie sie heute modern ist – hat er sicher nicht erlebt. Eine geistliche Entwicklung – die möglicherweise schon einsetzte, als er plündernd das christliche England heimsuchte – bekam neue Impulse. Wir müssen uns an dieser Stelle im Klaren darüber sein, dass Olav seine ganze Jugendzeit im Ausland verbrachte. Das bedeutet, dass er in all diesen Jahren niemals eine Chance bekam, seinen heidnischen Glauben zu praktisieren. Das nordische Heidentum war ja abhängig von festen Kultplätzen im Heimatland. Die Verehrung der Götter war an die heidnischen Kultstätten geknüpft, der Ahnenkult fand auf dem heimischen Hof statt. Auf Wikingerfahrt waren die Götter fern, abgesehen von dem raffinierten und weitgereisten Odin. Wir wissen, dass Harald Schönhaar ein gutes Verhältnis zu ihm hatte. Hat Olav in der Ferne auch diesen einäugigen Kriegsgott verehrt, oder suchte er sein Heil bei der schwarzen Magie. Unsere katholische Schriftstellerin Sigrid Undset argwöhnt so etwas.

In Rouen hatte Olav Zeit, die nordischen Götter mit Christus und seiner Heerschar von Engeln zu vergleichen. Für den ungeschlachten Wikinger war die entscheidende Frage die, wer von den beiden wohl stärker war – die alten Götter oder Jesus Christus. Als Kind hatte er gelernt, dass die Götter im Walhall im Laufe der Zeit entstanden sind, und dass sie alle im ”Ragnarok” (=Götterdämmerung) untergehen würden. Ewig lebten sie also nicht. Und selbst wenn sie einem Bauern zu einer guten Ernte und einem Krieger zum Sieg auf dem Schlachtfeld verhelfen konnten, allmächtig waren sie doch nicht. Denn nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter und Göttinnen waren einer anderen, übergeordneten Macht – den „lagnaden” (= Schicksalsmächten) unterworfen. Ihnen konnte keiner entkommen. Götter und Menschen waren Steinchen im launenvollen Spiel dieser Schicksalsmächte. Die Gunst der Götter konnte der nordische Mensch mit Blut- und anderen Opfern gewinnen. Die Schicksalsmächte konnte keiner gnädig stimmen. Sie waren eine böse, unpersönliche Macht, die nicht nach dem Ansehen eines Mannes fragten. Die Schicksalsmächte konnten einem Gewaltmenschen Sieg und gute Jahre schenken, einen menschenfreundlichen Glückspilz in Konflikte stürzen, die mit dem Tode endeten.

Hier in Rouen muss Olav viel über die Ohnmacht der alten Götter und die Allmacht Jesu Christi gegrubelt haben. Ja, seine christlichen Freunde konnten ihm erzählen, dass Christus nicht geschaffen war. Er war von Ewigkeit an. Auch sollte er nicht in der Götterdämmerung untergehen. Der Himmelskönig sollte ewig in seiner himmlischen Herrlichkeit leben. Er hörte auch, dass Christus sich eine Gefolgschaft von Engeln geschaffen hatte, und dass alle Menschen durch sein Wort das Leben erhielten.

In diesem Zusammenhang hat Olav wohl auch über den Tod und das Leben nach dem Tod gegrübelt. Es wäre naiv zu glauben, dass die Wikinger eine andere Menschennatur hätten als wir. Zu allen Zeiten haben Menschen sich nach der vollkommenen Wahrheit, Gutheit und Schönheit gesehnt. Diese Sehnsucht ist in unsere Natur hineingelegt wie ein Instinkt oder ein unwiderstehlicher Trieb. Auch der Heide Olav ist von dieser Sehnsucht nach dem Unendlichen und Absoluten ergriffen gewesen. Als Kind hatte er gelernt, dass die Krieger, die auf dem Schlachtfeld fallen, in Odins Halle gelangen. Aber das Leben in Walhalla ist recht eintönig. Dort leben sie wie in einem Trainingslager. Täglich trifft man sich auf Odins Hofgut, um sich im Kampf zu üben. Diejenigen, die fallen, werden wieder quicklebendig. Am Abend sitzen die kühnen Recken einträchtig vereint in Odins Hallen, essen das Fleisch des Ebers Særimne und trinken den Met von der Ziege Heidrun. Sie bereiten sich auf den großen Kampf zwischen guten und bösen Mächten im Weltgericht (Ragnarok). Am nächsten Tag beginnt das Waffenspiel von neuem. Solche deftigen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod konnten die angeborene Sehnsucht nach dem wahren Paradies und dem unendlichen Glück unmöglich zufriedenstellen. Außerdem würde Walhalla Olav von der Frau trennen, die er liebte, denn Odins Burg war für Frauen gesperrt. Sie verschwanden nach dem Tod in Helheims traurigem Schattendasein.

Die Christen in Rouen konnten Olav von einem himmlischen Paradies erzählen, das in krassem Gegensatz zu den heidnischen Vorstellungen stand. Sie erzählten über einen Himmel, der für alle Menschen offen war – auch für Frauen, Sklaven und die armen Leute. Bedingung war, dass sie das Richtige taten, solange sie auf Erden lebten. Und das Leben beim allmächtigen Vater in der Himmelsfeste war mehr als Helheims dunkle Räume und das eintönige Kriegerleben in der Burg Odins. Im Himmel gäbe es liebliche Landschaften, bunte Wiesen und Hügel mit duftenden Blumen. Im Himmel würden die Seligen zusammen mit den Engeln Gott so schauen, wie er wirklich ist, sie würden von Liebe zu ihm und zu allem Liebenswerten erfüllt sein.

Solche Gedanken setzten in Olavs Sinn die Kräfte frei, die nach unendlicher Wahrheit, Schönheit und Liebe streben. Olav hörte nicht nur, nein er erlebte auch, dass das Christentum nicht nur wie eine Theorie in der Luft schwebt. Er bekam auch zu hören, dass Jesus Christus sein unsichtbares Leben in einer deutlich sichtbaren Gemeinschaft lebte, die die katholische Kirche genannt wurde. Er verstand auch, dass diejenigen, die diesem Glauben angehörten, danach brannten, den christlichen Glauben zu den heidnischen Ländern zu tragen. Er hörte auch, dass der Papst in Rom der oberste Häuptling in Christi Heer war. Seine Gesandten in den verschiedenen Ländern waren die Bischöfe und Priester. Durch Wort und Sakrament sollten sie neue Krieger für Christi Heer werben. Diesem Heer wollte Olav nun auch angehören. Er übernahm den christlichen Glauben und ließ sich in Rouen taufen.

Olav Haraldsson und Karl der Große

Während der langen Winternächte in der Normandie saß Olav zu Tisch mit Herzog Richard und den anderen normannischen Häuptlingen. Gutes Essen und Trinken lösten dabei das Band der Zunge. Man erzählte sich von den großen Ereignissen der Vergangenheit. Tüchtige Krieger und sagenumwobene Ereignisse wurden aus dem Halbdunkel der Geschichte hervorgeholt. Von einer Person wurde besonders viel gesprochen. Das war Karl der Große (Carolus Magnus) – das große Vorbild aller christlichen Könige und Fürsten. Die großen und verwunderlichen Dinge, die von diesem Frankenkönig erzählt wurden, müssen Olav Haraldssons Geschmack gefunden haben. Er liebte diesen Helden sehr und wählte ihn zum Vorbild, als er später die Königsmacht hatte. Einige Jahre später erhielt Olavs Sohn die Nottaufe, während der König schlief. Sigvat Skalde gab dem Knaben den Namen Magnus – nach Carolus Magnus – und dies erfüllte den König mit großer Freude. Das große Kriegsschiff, das er bei Seeschlachten gebrauchte, als er nach Norwegen zurückkehrte, nannte er Karlshovde (Karlshaupt).

Wenn wir Olav Haraldsson als christlichen Herrscher verstehen wollen, müssen wir ein wenig über Karl den Großen wissen. Die gewaltige Völkerwanderung, die in Europa von etwa 300 – 600 stattfand, verursachte ein schreckliches politisches und nicht zuletzt auch religiöses Chaos. Die germanischen Volksstämme wälzten sich plündernd über die Grenzen des weiträumigen römischen Reiches und ließen Ruinen zurück. Europa wurde zu einem Flickenteppich kleiner Staaten, die in ständigem Krieg mit einander lagen. Einige dieser Stämme waren Heiden, andere wandten sich dem Arianismus zu, der die Gottheit Christi verneinte. Sowohl Heiden als auch Arianer verfolgten die Katholiken.

Es gab auch andere Gefahren, die das christliche Europa bedrohten: mongolische Reiterscharen drangen von Osten her in Europa ein, im Süden griffen die muslimischen Sarazenen an. Für das christliche Europa ging es um Sein oder Nicht-Sein. Die Sehnsucht nach Frieden ging wie ein großes Seufzen durch die ganze Kirche. Der Papst in Rom hielt Ausschau nach einer Führergestalt, die die Christenheit gegen innere und äußere Feinde verteidigen konnte. Sein Blick richtete sich nach Westen zum Reich der Franken. Hier herrschte König Chlodwig. Er war der erste germanische Fürst, der Katholik wurde (496). Die Franken folgten dem Beispiel des Königs. Einer seiner Nachfolger, Pipin, wurde von dem heiligen Bischof Bonifatius zum König gesalbt. Eine solche Salbung ist ein Sakrament, eine Art kirchlicher Weihe, die dem König sowohl das Recht als auch die Pflicht gibt, die Kirche gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen. Von dieser Zeit an gebrauchte man die Bezeichnung ”König von Gottes Gnaden” oder ”rex justus” (= gerechter König).

Der Frankenkönig Karl der Große wurde nicht nur gesalbt, sondern auch von Papst Leo III zum Keiser gekrönt. Dies geschah in der Weihnachtsnacht des Jahres 800. Es war des Papstes und der ganzen Christenheit innigster Wunsch nach Frieden, der ihn dazu veranlasste, Karl zum Kaiser zu krönen. Der Frankenkönig sollte die Katholiken gegen alle Übergriffe verteidigen. Er sollte in seinem riesigen Reich, das nun den größten Teil von Europa umfasste, für Ruhe und Ordnung sorgen. Mit flammendem Eifer übernahm Karl der Große seine Aufgabe als Verteidiger der Kirche. Er betrachtete es als seine Pflicht, die zahlreichen kleinen Volksstämme zu einem Reiche zusammenzuschweißen und sie zusammenzuhalten unter seiner eigenen zentralen Leitung. Nur so konnten Gesetz, Ordnung und Frieden in Europa wieder aufgerichtet werden. Etwas anderes war genau so wichtig. Nur durch eine solche Einheit, mit dem Kaiser als sammelden Mittelpunkt, konnte das Christentum die Möglichkeit erhalten, Wurzeln zu schlagen und zu wachsen. Mit anderen Worten: Für Karl den Großen war es ein und dieselbe Sache Europa mit dem Schwert zu einen, um so das Kreuz aufzupflanzen. Unsere Generation kritisiert mit der Besserwisserei der später Geborenen eine solche Religionspolitik. Die Christen jener Zeit – sowohl die geistlichen als auch die weltlichen Autoritäten – sahen keine andere Lösung, um das politische und religiöse Chaos zu beenden, das Europa so viel Blut kostete.

Karl baute überall in seinem Reich ein dichtes Netz von Kirchen, Klöstern und Schulen, und er unterstützte die kirchliche Kulturarbeit als ein Mittel gegen die heidnische Barbarei. Vom heutigen Gesichtspunkt aus können wir seine Zwangsmissionierung und seine Einmischung in kirchliche Angelegenheiten kritisieren. Der Papst wies ihn mehrmals ordentlich in seine Bahnen. Aber mit Blick auf den Frieden und die Stabilität, die er in Europa schaffte, und auch hinsichtlich dessen, was er für die Ausbreitung der Kirche tat, wurde er in seiner Zeit als ein Fürst von Gottes Gnaden betrachtet.

Olav Haraldsson hat ihn sicher so verstanden, als er als neugetaufter Katholik die Heimreise nach Norwegen antrat. Nun ist es auch ein Teil der Geschichte, dass all das, was Karl der Große an politischem Frieden und christlicher Einheit aufgebaut hatte, von seinen Nachfolgern in Schutt und Asche gelegt wurde, als sie das Reich unter sich teilten. Das 9. Jahrhundert ist wohl eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Kirche. Es folgte eine strahlende Erneuerung im 10. und 11. Jahrhundert. Diese ging von dem französischen Kloster Cluny aus und verbreitete sich wie ein Lauffeuer über das christliche Europa. Das Fürstenideal Karls des Großen kam noch einmal zu Ehren. Richard II, der Gastgeber Olavs in der Normandie, brannte zusammen mit den Geistlichen seines Fürstentums für die Reformgedanken. Dies taten auch die Geistlichen, die Olav von England mit nach Norwegen nahm. Ich habe mich deshalb so lange bei Karl dem Großen und der Zeit vor und nach ihm aufgehalten, damit wir Olav Haraldssons Aufbauarbeit in Norwegen besser verstehen. Das Vorbild Karls des Großen war ausschlaggebend für alle seine späteren Taten als König.

Olav Haraldsson kehrt Heim in ein zerrissenes Norwegen

Wir begleiten Olav auf seinem Heimweg. Er fuhr über England. Hier ließ er die Kriegsschiffe zurück und übernahm zwei Handelsschiffe. Sie bekamen eine Besatzung von 220 Mann, ausgewählte Männer mit Panzerhemden und guten Waffen. Im Herbst des Jahres 1015 stach er in See und segelte nach Norden. Auf der Insel Selje vor Stad ging er an Land. Der Legende nach war hier die heilige Sunniva einige Jahrzehnte vorher an Land gegangen. Kann darin ein göttlicher Plan verborgen sein?

Wie sah das Norwegen aus, zu dem Olav heimkehrte? Unser langgezogenes Land hatte einige gemeinsame Züge mit dem zersplitterten Europa, dem Karl der Große 200 Jahre vorher am Beginn seiner Königszeit gegenübergestanden hatte und das er doch zu einem christlichen Reiche sammeln konnte. Auch Norwegen war politisch und religiös gespalten, als Olav nach vielen Jahren der Abwesenheit seinen Fuß auf norwegischen Boden setzte. Nachdem Olav Tryggvason bei Svolder gefallen war, wurde das Land unter die Sieger aufgeteilt: den dänischen König, den schwedischen König und den Jarl von Lade. Die Dänen und Schweden ließen sich in Båhuslen und dem Land um den Oslofjord nieder. Die Ladejarle blieben Herr in Tröndelag und im Nordwestland. An anderen Orten konnten die lokalen Herren machen, was sie wollten. Erling Skjalgsson war Herr im Südwestland und in Agder. Die östlichen Kleinkönige behielten ihre Macht in Oppland. Hålogaland wurde von den mächtigen Häuptlingen von Tjötta und Bjarköy beherrscht.

Die Zerrissenheit Norwegens, als dessen legitimer Erbe Olav sich verstand, reichte noch weit tiefer. Norwegen war noch in vielerlei Hinsicht eine Gesellschaft, wo die Sippe bestimmte. Aus Platzgründen kann ich dieses Phänomen nur in sehr großen Zügen erklären. In vorhistorischer Zeit war die Großfamilie oder die Sippe die wichtigste soziale Einheit in Norwegen. Leiter war das älteste männliche Mitglied. Wenn die Großfamilie so zahlreich wurde, dass der Erbhof nicht mehr Platz für alle hatte, zogen die Jüngeren weg und errichteten eigene Höfe. Aber in der Regel zog man nur dorthin, wo es möglich war, die Verbindung mit der Familie und dem Heimathof aufrechtzuerhalten. In einer solchen Großfamilie ging die Individualität des Einzelnen in der Gemeinschaft unter. Alles, was man machte, hatte nur ein Ziel: es war zum Besten der Familie. Was die Sippe zusammenband, waren Blutsbande und der Ahnenkult. Die Verbindung zu den Ahnen, die im Hügelgrab auf dem Sippenhof ruhten, wurde aufrechterhalten durch Opfer, magische Riten und Sippenfeste, wo die Toten unsichtbar zugegen waren. Hier auf dem Erbhof wurden auch Rechtsstreitigkeiten vorgebracht und gelöst. Die Sippe war auch der einzige effektive Schutz gegen Übergriffe und Beleidigungen von außen. Ohne Sippe hatte man keinen Rechtsschutz und konnte in Notzeiten keine Hilfe erwarten. Der Tod war dann das sichere Los. Zwei Familien konnten sich durch Heirat in Freundschaft vereinen. Die Frau wurde auf diese Weise ein wichtiges Element im gemeinsamen Interesse der Familien, mehr Macht zu gewinnen.

Davon abgesehen gab es keinen Zusammenhalt zwischen den Sippen. Jede Großfamilie war sich selbst genug. Sippe stand gegen Sippe. Die Blutrache wurde ausgeübt, wenn ein Sippenmitglied von einem Gewalttäter aus einer anderen Sippe getötet wurde. Es war nicht die moralische Seite eines Mordes, die die Familie berührte, sondern die, dass die ganze Sippe durch den Verlust des Einen geschwächt wurde. Die Blutrache brauchte deshalb in erster Linie nicht am Mörder selbst vollzogen zu werden. Jedes beliebige Mitglied aus der Familie des Täters konnte niedergemacht werden. So war auch die Sippe des Mörders geschwächt und das Stärkeverhältnis wieder hergestellt. Die Blutrache war Familienpflicht. Unterließ man sie, verlor man alles Ansehen und war ein ehrloser Mensch. Es ist klar, dass diese Selbsthilfe zu vielen blutigen Fehden zwischen den Sippen führen musste. Ein Mord löste mit unerbittlicher Gesetzmäßigkeit eine Reihe neuer Morde aus. Die Rache wurde vom Vater an die Söhne weitervererbt. Mit unmenschlicher Logik erstreckte sich das Blutvergießen über Generationen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein zentrales, sammlendes Reichskönigtum geringe Überlebenschancen in einer Gesellschaft hat, wo Großfamilie gegen Großfamilie steht. Nicht einmal das Christentum mit seiner Friedensbotschaft hat gute Wachstumsmöglichkeiten in einer ausgeprägten Sippengesellschaft. Blutrache und Familienfehden lassen sich nun einmal schlecht in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre vom Frieden auf Erden für alle Menschen guten Willens bringen. Das Christentum betont in allen ethischen Fragen die persönliche Verantwortung des Einzelmenschen vor Gott und dies lässt sich schwer mit einer Sippenmoral vereinbaren, wo das Wohl der Familie der einzige Maßstab für Gut und Böse ist. Und die kirchliche Verkündigung der Nächstenliebe, die sich auch gegenüber den Ärmsten der Armen zeigen soll, reimt sich nicht mit der suveränen Verachtung für all das, was sich außerhalb der eigenen Familie befindet.

Nun gehört aber auch Folgendes zur Geschichte: Als Olav Haraldsson nach Norwegen zurückkehrte, war die Sippengesellschaft in Auflösung begriffen. Bauernsiedlungen und kleine Reiche, die unter einem Häuptling oder Kleinkönig standen, waren herangewachsen. Rechtsstreitigkeiten wurden auf dem Gemeinde- oder Provinzthing entschieden. Aber die Herausbildung solcher Institutionen wurde stark durch die alte Sippenordnung behindert, die tiefe Wurzeln im Volk hatte. Auch Jarle und Häuptlinge wie Erling Skjalgsson, Kalv Arnesson, Hårek auf Tjötta und Tore Hund dachten in erster Linie an den Vorteil ihrer Sippe. Realpolitisch betrachtet waren sie sich schon darüber im Klaren, dass Norwegen einen Oberkönig brauchte, der die Verteidigung des Landes gegen fremde Wikinger organisieren und Ruhe im Inneren schaffen konnte. Wenn aber dieses Reichskönigtum dazu führte, dass die Macht der Sippe beeinträchtigt wurde, dann wünschten sie sich lieber einen ausländischen König, der weit weg war und die lokalen Häuptlinge in ihrem Machtbereich schalten und walten ließ. Und sollte das Schlimmste von allem geschehen, dass nämlich der Reichskönig einen Mann aus mächtiger Familie töten ließ, weil dieser sich gegen die Gesetze des Landes verbrochen hatte, dann lag die Blutrache sehr nahe. Wir werden später sehen, dass die Blutrache eine der Kräfte war, die Olav in Stiklestad fällte. Es gibt Historiker, die annehmen, dass der Übergang von der Sippen- zur Staatsgesellschaft bis zum Jahre 1200 dauerte. Bereits jetzt ahnen wir die Schwierigkeiten, die Olav in seiner Regierungszeit als König bekommen sollte.

Olav Haraldsson, König in Norwegen

Olav setzte seinen Fuß erst auf norwegischen Boden, als er erfahren hatte, dass Jarl Eiriks Sohn, der junge Håkon, nur mit einem Schiff unterwegs war. Mit einer Kriegslist brachte Olav dessen Schiff zum Kentern und nahm den Sohn des Jarls gefangen. Er liess ihm gegenüber Schonung walten unter der Bedingung, das Land zu verlassen und zu seinem Vater Eirik, Jarl in England, zu gehen. Dann segelte Olav in südöstlicher Richtung an der Küste entlang bis Viken. Von dort zog er zu Fuss in die heimatlichen Gefilde (Opplandene), wo er die meiste Unterstürzung erwarten konnte.

Der heimgekehrte Seekönig wird von Mutter Åsta und Stiefvater Sigurd Syr begeistert empfangen. Beide versprechen, ihm nach Kräften zu helfen. Olav bringt seine Sache vor Großbauern und Kleinkönige in Opplandene. Die Häuptlinge bereden die Sache gründlich unter sich. Am Ende wählen sie ihn zum Oberkönig.

Hinter diesem Beschluss stand keine nationale Begeisterung; es hätte ihnen wohl eher gedämmert, dass auf die Dauer die Reichsmonarchie nicht mehr zu umgehen war. Sie hofften nur, dass der neue Oberkönig sich nicht so sehr in ihre lokalen Sachen einmischen würde.

Alle waren Heiden. Olav ließ das Werk der Christianisierung vorerst auf sich beruhen. Er rüstete Schiff und Mannschaft aus und nahm Kurs westwärts, immer an der Küste entlang. Bei Nesjar im Langesundfjord gewann er eine große Seeschlacht gegen Jarl Svein; dieser flüchtete nach der Niederlage nach Schweden, wo er bald starb. Nach dieser Seeschlacht wurde Olav als König über ganz Viken und Agder anerkannt.

Darauf segelte er direkt nach Tröndelag, wo nach der Flucht der Jarle kein Häuptling mehr war. Auf dem Örething wurde ihm gehuldigt. Er ließ sich nun auf Nidarnesset nieder, baute sich ein Haus und errichtete die Klemenskirche.

Bald darauf wurde er auch in Inntröndelag als König anerkannt. Darauf segelte er wieder nach Süden. Ein Thing nach dem anderen akzeptierte ihn als König.

Auf Sola lebte der letzte bedeutende Mann, der sich ihm noch nicht unterworfen hatte, der mächtige “König von Rogaland”, Erling Skjalgsson. Er war einer der mächtigen Leute, die bei Nesjar gegen ihn gekämpft hatten. Zwischen Erling und Olav wurde auf Kvitsöy in Ryfylkeleia ein Vergleich geschlossen. Aber König Olav ging nicht auf die Forderungen ein, die Erling für sich und seine Sippe gestellt hatte. So kam es nie zu einer wirklichen Freundschaft zwischen den beiden.

Nachdem Olav nun zum König über ganz Mittel- und Südnorwegen bestellt war, ging er daran, sein Verhältnis zu Schweden ins Reine zu bringen. Der Schwedenkönig hatte wenig für Olav übrig; aber nach langen Verhandlungen und vielen Streitereien endete es damit, dass Olav Ranrike (Båhuslen) zurückbekam. Der Vergleich sollte durch eine Hochzeit besiegelt werden. Olav sollte Ingegerd, die Tochter des Schwedenkönigs, zur Frau erhalten. Die Hochzeit sollte auf der norwegischen Seite der Grenze zu Schweden stattfinden. Als der Hochzeitstag kam, war keine Braut da. Der Vater hatte sie inzwischen weit weg mit Fürst Jaroslav, dem Oberherrn von Novgorod, verheiratet. Olav trug schwer an dieser Sache. Wenn wir der Saga Glauben schenken wollen, war zwischen der Königstochter und dem heimgekehrten Seekönig so etwas wie eine “Liebe auf Entfernung” entstanden. Dieser Betrug durch den Schwedenkönig wurde dann wieder gutgemacht. Astrid, die Tochter des Schwedenkönigs mit einer Dienerin, lief von zu Hause weg und bot sich Olav als Ersatz für ihre Schwester an. Olav nahm das Angebot an und heiratete sie.

Nachdem Olav die Dinge im Süden so einigermaßen nach seinem Wunsch geregelt hatte, nahm er den Weg nordwärts nach Hålogaland, wo er von den örtlichen Thingversammlungen zum König gewählt wurde. Nun war er – jedenfalls dem Namen nach – König von ganz Norwegen.

Olav und das Werk der Christianisierung

Zu dieser Zeit setzte Olav all seine Kraft daran, Norwegen christlich zu machen. Doch wäre es falsch zu glauben, dass er einem durch und durch heidnischen Volk gegenüberstand. Große Teile der Bevölkerung waren bereits christianisiert – wenn auch mehr dem Namen als dem Sein nach. Das Christentum hatte schon festen Fuß gefasst, in den Küstenbezirken von Viken im Süden bis zu den Außenprovinzen im Norden. Die Groß-Häuptlinge, die später Olav bei Stiklestad töten sollten, waren in einem gewissen Sinne christianisiert. In den Inlandsbezirken Ostnorwegens und in Tröndelag war das Heidentum aber tief verwurzelt.

Man hat oft sehr kritisch vermerkt, Olav hätte Norwegen zwangschristianisiert. Das stimmt aber nur zum Teil. Wie schon berichtet, waren große Teile der Bevölkerung christianisiert. Wenn er in den Inlandsbezirken missionierte, waren in der Regel einige Machtdemonstrationen genug, um das Volk zur Taufe zu bringen. Wir erinnern etwa an die Erzählung von Hundorp. Hier ließ der König die Thorsfigur der Gegend zerschlagen; heraus sprangen Mäuse und krochen Würmer. Sonst geschah nichts! Kein Hammer des Gottes flog pfeifend durch die Luft, um den Gotteslästerer zu töten. Mehr brauchte es nicht, um die Ohnmacht der Götter und die Allmacht des Christengottes zur Schau zu stellen. Die Leute ließen sich taufen und machten mit den Götteropfern Schluss. Die Götter selber verschwinden oder werden in die Welt der Dämonen verdrängt.

Aber nicht immer ging es so leicht mit der Einführung des Christentums. Snorre erzählt mehrere Male, dass denjenigen, die sich nicht taufen lassen wollten, mit Verstümmelung oder Verlust von Leben und Besitz gedroht wurde. Wegen dieser “Schwertmission” zweifeln viele an der Heiligkeit Olavs und fühlen sich in der Meinung bestätigt, Olav sei das Gegenteil eines Heiligen, nämlich ein grausamer Mensch, gewesen.

Wenn Historiker oder Romanschreiber Personen aus vergangenen Zeiten schildern wollen, stehen sie immer vor der sehr schwierigen Aufgabe, sich in deren Gedanken- und Vorstellungswelt einzufühlen. Der Verfasser dieses Heftes ist alt genug, um sich an die Lage von Hausmädchen vor dem letzten Weltkrieg zu erinnern: Schwere Arbeit von morgens bis abends für 25 Kronen im Monat; mit einem Lächeln die Frechheiten unverschämter junger Leute ertragen; einen halben Tag pro Woche frei; wenn die Herrschaften bis in die späte Nacht hinein Partys feierten, keine Bezahlung von Überstunden; eine winzige Kammer, wenn sie todmüde zu Bett gehen konnten. – So schufteten diese Mädchen vom Lande in den Stadtfamilien noch vor 70 Jahren. Würde heutzutage eine ähnliche soziale Ungerechtigkeit aufgedeckt, – im ganzen Land würde sich ein Protestgeschrei erheben. Damals aber – vor dem letzten Krieg – hätte sich keine einzige Stimme zum Protest erhoben. Die Hausfrau behandelte nun einmal ihre Hausgehilfin so – und zwar mit gutem Gewissen. Das musste so sein. Es geschah in gutem Glauben. Die gute Frau ging dabei brav zur Kirche, sprach ihr Abendgebet und lebte in Frieden mit sich selbst, mit Gott und mit jedermann. Das können wir ein halbes Jahrhundert danach mit unserem sozialen Gewissen kaum fassen. So ist es fast unmöglich, die Motive zu prüfen und ein moralisches Urteil über eine Person zu fällen, die vor mehr als 900 Jahren gelebt hat. Heftige Kritik auf der Grundlage der heutigen Toleranz und Glaubensfreiheit ist nicht sachgerecht. Ein Besuch im heutigen Saudiarabien könnte uns eine Verbindungslinie zur Zeit Olav Haraldssons aufzeigen.

Zu allen Zeiten der Geschichte hat es der Fürst als sein sonnenklares Recht angesehen, über die Religionsausübung seiner Untertanen zu bestimmen. So auch im Norden. In der heidnischen Sippengesellschaft war der älteste Mann auf dem Sippenhof für Opfermahl und Ahnenkult verantwortlich. Die nordischen Könige stammten im Bewusstsein des Volkes von den Göttern ab. Als Göttersprösslinge standen sie den ”Mächten” näher als der gemeine Mann. Sie waren Opferpriester und hatten die Verbindung zu den Fruchtbarkeitsgöttern zu sichern, von denen gute Ernten und Frieden kamen. Als Könige sollten sie dem Volk das Glück vermitteln.

Solche Vorstellungen hat noch der junge Olav ins Christentum mitgenommen. Können wir etwas anderes erwarten? Der Übergang von der heidnischen zur christlichen Gedankenwelt ist ein Prozess über Jahre hin. Snorre gibt zu verstehen, dass Olav Norwegen als sein Sippenerbe betrachtete. Er war der erste im Sippenland. Deshalb trug er die Hauptverantwortung für einen direkten Kontakt mit den höheren Mächten. Aber hier, in der Götterwelt, hatte eben ein Generationswechsel stattgefunden: Thor, Odin, Njord und Fröy waren durch Christus und sein Heer von Engeln und Heiligen ersetzt. Olavs, des Sippenhäuptlings, Aufgabe war aber die gleiche geblieben: Vermittler zu sein für die Gnade des Himmelsgottes. So muss er es verstanden haben. Es ist sehr auffallend, wie ofte die Saga von König Olavs Glück spricht. Das kann er schenken, wem er will. Das hatte nahezu etwas Magisches an sich.

Olav war in die Gefolgschaft Christi eingetreten. In Taufe und Firmung hatte er vor dem Himmelskönig seinen Treueid abgelegt; auf seiner Seite stand er nun im Kampf gegen Satan und seine gefallenen Engel. Alle mussten sich Gottes Willen beugen. Ging das nicht mit Worten, musste es mit dem Schwert in der Hand geschehen. Der Himmelskönig duldete keinen Widerspruch. Olav führte nur seine Befehle aus. Wer sich weigerte, Gottes Willen zu beachten, musste das mit Verstümmelung oder Verlust von Leben und Besitz zahlen. Die Zwangsmissionierung muss für Olav eine Gewissenssache gewesen sein. Er handelte subjektiv in gutem Glauben. – Sein großes Vorbild, Karl der Große, hatte genauso gehandelt, als er die Sachsen zur Taufe zwang.

Wir können uns nur wundern, dass die Bischöfe in seinem Gefolge, die Olav von England mitbrachte, ihm nicht beibringen konnten, von der Schwertmission abzulassen. Die angelsächsischen Geistlichen waren doch ganz auf der Linie der katholischen Kirchenlehre, dass kein Heide mit Zwang bekehrt werden darf. Die Bekehrung darf nur freiwillig geschehen. Wir denken dabei an König Håkon den Guten und seine Missionsmethode. Er war am englischen Hof erzogen worden. Wir geben zu, dass es für die englischen Bischöfe in seinem Gefolge nicht leicht gewesen sein mag, den neubekehrten Wikingerkönig auf mildere Bahnen zu lenken. Wenn wir der Verfasserin Sigrid Undset Glauben schenken, dann muss Olav gemeint haben, dass sich hinter der heidnischen Götterverehrung dämonische Kräfte vebargen, – und wer geht schon zaghaft gegen höllische Kräfte an? Das war das überzeugende Argument, gegen das die englischen Prälaten kaum etwas vorzubringen hatten. Sie fühlten sich da auf unsicherem Boden. Kannten sie doch die angelsächsischen Gesetzesbestimmungen, nach denen Zauberer und Hexer vertrieben oder getötet werden mussten, wenn sie keine Buße taten. In Odd Munks Saga über Olav Tryggvason hören wir aber, dass Bischof Jon-Sigurd mehrere Male den König wegen seiner brutalen Missionsmethode tadelte; abbringen konnte er ihn aber nicht davon.

Diejenigen aber, welche keinerlei religionsgeschichtliches Verständnis für Olavs Schwertmission aufbringen, möchten wir etwas herausfordern mit dem Hinweis darauf, dass in unserem Lande bis in unsere Zeit auch keine Glaubensfreiheit existierte. In der Zeit von 1537 bis 1843 war jegliche katholische Wirksamkeit hier zu Lande – per Gesetz – verboten. Und sogar 1955 wurde einem norwegischen Studenten der Aufenthalt in seinem Heimatland Norwegen verboten, weil er in den Jesuitenorden eingetreten war. Aber auch die katholische Kirche hat bis in unsere Tage Fehler bezüglich religiöser Duldung gemacht.

Aber zurück zu Olav Haraldssons Schwertmission. Ein Sonntagsschulkind war er nicht. Er muss geglaubt haben, den Willen Gottes zu erfüllen, wenn er das Volk unter Zwang christianisierte. Aber die Gesinnung, das heißt die Gefühle, die ihm durchgingen, wenn er mit Gewalt vorging, war keineswegs christlich. Wenn er Gottestätten verwüstete, Gehöfte niederbrannte, widerstrebende Heiden verstümmelte oder tötete, ging die dünne, nur wenige Jahre alte Mauer zwischen dem heidnischen Seeräuber und dem christlichen Reichskönig zu Bruch. Heidnische Vergangenheit und christliche Gegenwart flossen ineinander über in all ihrer brutalen Realität. Was können wir anders erwarten? – Es gibt Geistliche, die der Ansicht sind, dass es fünf bis zehn Jahre dauert, bis ein Protestant, der sich heute zum Katholizismus bekehrt, gelernt hat, “katholisch zu denken”. Und dabei ist der Unterschied trotz allem nicht so übermäßig groß. Wie viel länger muss also dieser Prozess für einen heidnischen Wikinger gedauert haben!

Wir wollen aber nicht länger auf Olavs Schwertmission starren. Es ist an der Zeit, auf all das Positive zu schauen, das er für die christliche Sache in Norwegen erreicht hat. Wie bereits erwähnt, hatte Olav bei seinem Überwintern in Rouen begriffen, dass das Christentum nicht wie eine vage Theorie in der Luft hing. Er erfuhr, dass es in die Länder ausgebreitet wurde, von einer zusammengeschweißten Kirche mit einer Organisation, die viel effektiver war als diejenige, die er in den weltlichen Fürstentümern kennen gelernt hatte. Er lernte auch, dass der Großhäuptling in Rom saß und dass seine Beauftragten seine Schafe in abgegrenzten Bistümern hüteten; unter ihnen taten das Gleiche die Priester in ihren Pfarreien. Diese Kirchenorganisation mit ihren festen Gesetzen und Regeln sollte nun auch in Norwegen Fuß fassen. Bis dahin war das Christentum eine ziemlich unverbindliche Sache gewesen. Was zählte, war die Taufe und dass man mit Opfermahl und Ahnenkult Schluss machte. So verstanden, bedeutete das Christentum keinen ernsthaften Eingriff in die Sippenkultur der Mächtigen und Reichen. Das sollte nun anders werden, wenn die Kirchenorganisation festere Formen annahm.

Von England hatte Olav fünf Bischöfe mitgebracht. Derjenige, der die größte Bedeutung für die Organisation der katholischen Kirche in Norwegen erlangte, war Bischof Grimkjell. Er war des Königs bester Freund und Partner in der Zusammenarbeit in kirchlichen Belangen. In den zwanziger Jahren, vielleicht im Jahre 1023, fand einmal eine Epoche machende Versammlung in Moster (Sunnhordland) statt. Wenn wir den historischen Forschungen von Fridtjov Birkeli Glauben schenken, ging es dabei nicht um eine gewöhnliche Thingversammlung, sondern um eine Kirchenversammlung nach angelsächsischem Muster, zu der die Bischöfe und die Leute des Königs zusammenkamen. Diese Kirchenversammlung sollte nicht beschließen, dass die Norweger sich im Allgemeinen zum Christentum bekehren sollten. Das war schon auf den Provinzthingen angenommen worden. Ganz neu in der norwegischen Geschichte war, dass nun das Christenrecht gesetzt werden sollte, d.h. die Kirchengesetze sollten angenommen werden. Auf diesem Gebiet hatte König Olav wenig Erfahrung. Höchst wahrscheinlich war es Bischof Grimkjell, der die Initiative zu dieser Kirchenversammlung ergriff und die Hauptverantwortung für die Formulierung des Christenrechtes auf norwegischem Boden trug. Später wurde das Christenrecht auf den Provinzversammlungen von Süd nach Nord angenommen.

Es ist freilich schwierig festzustellen, welche christlichen Gesetze ganz auf Moster zurückgehen und welche später, im Laufe der Jahrhunderte, hinzugefügt wurden.

Bemerkenswert aber ist, dass das ganze Gesetzeswerk von der Zeit an – sowohl der kirchliche als auch der weltliche Teil – unter dem Namen “St. Olavs Gesetz” weiter existierte bis zur Reformation und noch in die folgenden Jahrhunderte hinein. Diese Tatsache sagt zwar wenig über den Zusammenhang von früheren und späteren Gesetzen aus, umso mehr aber über die Rolle, die König Olav im Bewusstsein des Volkes als Mann und Garant des Gesetzes spielte.

Worauf bezog sich nun, in kurzen Zügen, das Kirchenrecht? Es drehte sich um äußere Vorschriften und Verbote, die das Christenvolk einzuhalten hatte. Das Gesetz des Things von Gulen beginnt so:

Es ist der Anfang unseres Gesetzes, dass wir uns gen Osten neigen und beten sollen zu dem heiligen Christ um Frieden und ein gutes Jahr, dass wir unser Land bewirtschaften und unseren König völlige Treue halten sollen, weil er uns Freund ist und wir ihm, und weil Gott unser aller Freund ist”.

Dann folgen gesetzliche Bestimmungen:

Neugeborene Kinder bleiben am Leben und werden nicht in Wald ausgesetzt. Knechte sollen jedes Jahr freigekauft werden. Vielweiberei ist verboten. Ein Mann soll nur eine Frau haben. Strenge Strafen gelten für Vergewaltigung und Frauenraub. Fleischessen ist am Freitag verboten. Alle sieben Wochen vor Ostern soll gefastet werden. Heiraten mit Verwandten bis zum 7. Grad sind verboten. Neugeborene Kinder sollen zur Taufe in die Kirche gebracht werden. Es ist verboten, Tote in Erd- oder Steinhügeln zu beerdigen. Der Leichnam soll zur Kirche gebracht und in geweihter Erde bestattet werden. Ein Begräbnis in geweihter Erde wird Verbrechern, Landesverrätern, Mördern, Räubern oder Selbstmördern verweigert. In jeder Provinz sollen Kirchen gebaut werden. Der Bischof überwacht sie und setzt Priester ein. Die Leute innerhalb der Provinzgrenzen sind für den baulichen Zustand der Kirche und für den Unterhalt der Priester verantwortlich.

Wie wir sehen, geht es beim Christenrecht um konkrete Gesetzesbestimmungen, um einen äußeren Rahmen für das Christenleben des Volkes. Begriffe späterer Zeit wie „persönliche Bekehrung” und „inneres Glaubensleben” sind vorerst unbekannt. Das Christentum muss „gehalten werden”. Die Förderung des inneren Glaubenslebens ist Sache der Priester, die sich in Sakramentenverwaltung, Verkündigung und Seelsorge darum bemühen. Alles deutet darauf hin, dass der Übergang von der Beobachtung äußerer Regeln zu einem inneren Leben des Christentums in den Einzelpersonen Generationen brauchte. Eine solche stufenweise Einführung des Christentums war notwendig. Bischof Grimkjell war ein kluger Religionspsychologe. Will man ein Haus bauen, beginnt man nicht mit dem Dachgeschoß; zuerst muss das Fundament gelegt werden. Das Christenrecht wurde in Moster gesetzt und ging dann auf den Thingen der einzelnen Landesteile in die norwegischen Landesgesetze ein – anderen Gesetzesbestimmungen ebenbürtig.

Olav eiferte glühend für das Christenrecht. In diesem Eifer für die Sache Christi war er ständig unterwegs – an der ausgedehnten Küste entlang und kreuz und quer im Landesinnern. Wo er hinkam, ließ er auf der Thingversammlung den Bauern das Christenrecht vorlesen. Und als Erstes wollte er dann untersucht haben, ob sich die Leute auch wirklich daran hielten. Snorre erzählt, dass ”in den Küstengebieten die Leute fast überall getauft waren, das Christengesetz kannten die meisten aber nicht”. Viele Bauern und sehr Wohlhabende bekamen sicher Schwierigkeiten damit: Sollte man wirklich seinen Arbeitern an Sonn- und Feiertagen arbeitsfrei geben? Wie sollte es dann mit dem Landwirtschaftsbetrieb weitergehen? Sollte ein Hausvater auf sein Recht verzichten, schwächliche oder missbildete Kinder auszusetzen? Sollte ein Distriktshäuptling oder Grossbauer sich freiwillig einverstanden erklären, dass ein ausländischer Bischof über die Provinzkirchen, ja sogar über ihre eigenen Privatkirchen auf den Höfen bestimmte? Sollten sie akzeptieren, dass dieser fremde Kerl das entscheidende Wort bei der Besetzung der Priesterstellen in den Kirchen hatte? Sollte ein mächtiger Mann auf die Vielweiberei verzichten und Frau nr. 2 und nr. 3 wegschicken? Hier war alles für Konflikte vorpräpariert. Hier stand das christliche Reichskönigsrecht im Streit mit dem persönlichen Verfügungsrecht der Sippenhäuptlinge – in Sachen, die seit Urvätertagen jeder für sich in Anspruch genommen hatte.

Wie reagierte Olav auf diesen Widerstand? Es gibt einen Satz, der mit wenigen Änderungen in der Saga immer wiederkehrt: ”Denen, die sich nicht dem Christengesetz beugen wollten, drohte er mit Verstümmelung und Verlust von Leben und allem Besitz – und das galt für alle.” Mit anderen Worten: Gleichheit vor dem Gesetz. Dass er die armen Leute herumkommandierte, wurde akzeptiert; dass er aber in das religiöse Verfügungsrecht der Sippengesellschaft einbrach und die mächtigen und reichen Leute zwang, sich unter Rechtsbestimmungen zu beugen, die von außen kamen, fremd wirkten und sie schädigten, – das konnte manch einer von ihnen schwerlich schlucken. Ich erlaube mir, den Gang der Geschichte vorwegzunehmen, indem ich schon an dieser Stelle behaupte, dass dieser Konflikt – unter einigen anderen – die Feinde schuf, die König Olav bei Stiklestad tötete. Moderne Historiker wiederholen ständig, die Schlacht bei Stiklestad habe nichts mit dem Christentum zu tun gehabt. Diese Behauptung ist zweifelhaft. Die meisten Kämpfer im Bauernheer waren zwar getauft, aber mancher getaufter Häuptling fand das Christentum ungenießbar. Deshalb, ja auch aus diesem Grunde, wollten sie den König umbringen, der ihnen das christliche Gesetz aufzwang. Auf der anderen Seite des Konfliktes stand der christliche Reichskönig, der die heilige Überzeugung hatte, den Willen Gottes zu erfüllen, wenn er mit Behutsamkeit oder mit Gewalt das Christenleben der Leute mit einem Gesetzeswerk verflocht, das übrigens im katholischen Europa gemeinchristliches Erbe war.

Aus der Saga geht hervor, dass König Olav die norwegische Kirche nicht nur als ein nationales Anliegen betrachtete. Für ihn ging es darum, sie mit der katholischen Universalkirche zu verknüpfen, die mittlerweile ihr Dach über den größten Teil Europas gewölbt hatte. Deshalb auch sandte er aus seinem Gefolge Bischof Grimkjell zum Erzbischof von Hamburg – Bremen. Von jetzt an gehörte die norwegische Kirchenprovinz für lange Zeit unter dessen Leitung. Das war auch der ausdrückliche Wunsch des Papstes gewesen. Die Reise nach Bremen hatte wohl auch zum Ziel, den Erzbischof dazu zu bewegen, die Form gutzuheißen, die das Christenrecht auf norwegischem Boden erhalten hatte.

Hinter allem, was König Olav tat, sehen wir sowohl den Gesetzgeber als auch den Hüter des Gesetzes. Sein Interesse galt aber nicht nur das Christenrecht, sondern auch – und zwar im gleichen Maße – den weltlichen Teil der Provinzgesetze, wie sie von alten Zeiten her auf den Thingversammlungen geformt worden waren. Eine gesetzgebende Macht besaß der König zwar nicht, doch hatte er einen gewissen Einfluss auf die gesetzlichen Regelungen, – wie aus der Saga hervorgeht.

Snorre schreibt: ”Er lud die kundigsten Leute ein, mächtige und reiche Männer und arme Leute; dann ließ er sich oft die Gesetze vortragen, die Håkon Adelsteinsfostre in Tröndelag erlassen hatte. Er änderte die Gesetze nach dem Rat der kundigsten Leute; er nahm heraus und fügte hinzu, was er für notwendig hielt.”

Eine richterliche Gewalt hatte der König auch nicht. Aber die Saga berichtet, dass viele ihm ihre Angelegenheiten unterbreiteten. Snorre schreibt, dass als der König mit den Bauern in Valdres eine Thingversammlung abhielt, fragte er sie, ”ob da auf dem Thing welche wären, die Sachen gegeneinander hätten, die sie gern von ihm hätten entschieden wollen.” Aus dem weiteren Bericht geht hervor, dass viele, die mit anderen in Streit lagen, ihre Beschwerden vor den König brachten. ”Den ganzen Tag lang wurde darüber verhandelt; am Abend wurde das Thing geschlossen.”

Als Hüter des Gesetzes hatte er seine wichtigste Aufgabe, nämlich den zu bestrafen, der sich gegen das herkömmliche Gesetz und Recht vergangen hatte. Auch hier waren starke Konflikte vorprogrammiert: In der alten Sippengesellschaft lag die gesetzgebende und richtliche Gewalt bei den Thingversammlungen. Um die Vollstreckung des Urteils kümmerte sich die geschädigte Konfliktpartei selbst. Wurde der Gewaltverbrecher geächtet, war es Sache der Mitglieder der betroffenen Sippe, ihn zur Strecke zu bringen. Das war wohl die naheliegendste Lösung in einem Land, das zu der Zeit weder Gefängniswesen noch Polizei kannte. In einer Zeit einigermaßen gleichwertiger Sippen und ziemlich homogener Gesellschaft ließ sich das machen, obwohl die Vollstreckung des Urteils sich in die Länge ziehen konnte. (Auf Island hielt sich der Recke Grettir 20 Jahre versteckt, bis die Gegner ihn erwischten und beseitigten.)

Zu König Olavs Zeiten war das aber schon anders. Die Sippengesellschaft war teilweise in Auflösung begriffen. Der Sippenvater war nun Distriktleiter oder Häuptling großer Gebiete geworden – dachte aber weiterhin rein lokal, selten im Sinne der Reichspolitik. Diese Sippenhäuptlinge handelten eigenmächtig, so viel sie konnten. Auf den Thingversammlungen richteten sie über Bauern und arme Leute nach den Landesgesetzen. Selbst aber nahmen sie sich Freiheiten heraus, die den Frieden auf dem Lande bedrohten. Manch einer der mächtigen und reichen Leute schreckte nicht davor zurück, in seinen eigenen Lokalgemeinden oder in entfernteren Gebieten längs der norwegischen Küste zu plündern. Das Gulathinggesetz hat ein eigenes Kapitel über „Wikingerfahrt im eigenen Land”. Snorre führt das mit Abscheu an: ”Es war in Norwegen gang und gäbe, dass Söhne von Gefolgschaftsleuten oder reiche Bauern mit Kriegsschiffen ausfuhren, um im In- und Ausland auf Plünderung zu gehen; auf diese Art verschafften sie sich Reichtümer.” Hier sehen wir wieder ein Sympton und die Fortführung einer engstirnigen, auf sich selbst gerichteten Sippenmoral. Das Ziel heiligt die Mittel. Das Ziel war: Vermehrung des Sippenvermögens. Deshalb plünderte, tötete, beraubte man die schwächeren Sippen und die armen Leute längs der norwegischen Küste.

Snorre berichtet weiter: ”Nachdem aber König Olav die Königsherrschaft übernommen hatte, verschaffte er dem Land Frieden. Er machte Schluss mit den Räubern im Lande, auch wenn es sich um Söhne mächtiger und reicher Leute handelte. Brachen sie den Frieden oder begingen sie andere Verbrechen gegen das Gesetz, so begnügte sich Olav nicht mit einer geringeren Strafe als Verstümmelung oder Hinrichtung, – sofern es zu einer Strafverfolgung kam. Da halfen weder Bitten noch Geldbußen.”

Snorre stützt sich dabei auf ein Gedicht, das der Skalde Sigvat, Olavs bester Freund, verfasst hatte:

Mächtige Leute, die Unfrieden stifteten, versuchten oft, sich mit rotem Gold freizukaufen; der König winkte aber ab. Mit dem Schwert, sagte er, muss der Haarschopf solcher Kerle gestutzt werden. So muss das Reich geschützt und solche Leute für ihr räuberisches Unwesen gezüchtigt werden.

Der teure Fürst sorgte sich um uns wie ein großartiger Wolf. Diebe und Räuber machte er nieder. Das Raubwesen wurde geringer. Der gute König machte, dass alle gerissenen Diebe Füsse oder Arme verloren. In des Fürsten Land wurde der Friede besser. Er verteidigte das Land mit scharfen Waffen, zu Hunderten verloren Wikinger ihren Haarschopf. Der gute Vater von Magnus gewann manchen guten Sieg und Olav Digres Ansehen wuchs nach den meisten Siegen.”

Was wir uns in diesem Zusammenhang besonders einprägen sollten – bei Snorre wie auch bei Skalde Sigvat – ist das Gewicht, das beide auf das Rechtsempfinden des Königs legen. Für ihn sind alle vor dem Gesetz gleich. – Hätte er sich damit begnügt, kleine Gauner und Gesindel der Landstraße zu bestrafen, – keine einzige Stimme hätte sich erhoben. Aber dass er es wagte, in das einzubrechen, was dem Sippenhäuptling dem Herkommen nach zustand, nämlich – innerhalb und außerhalb seines Machtbereiches – Krieg zu führen, wann er wollte, das konnten sie nicht ertragen.

Snorre schreibt gegen Ende seiner Olavssaga: ”Er sorgte dafür, dass Reiche und Arme die gleiche Strafe erhielten, aber das Volk fand, dass er deswegen einen großen Dünkel hatte; und so kam eine Feindschaft gegen ihn hoch, wenn in einem berechtigten Gerichtsverfahren die Leute nach einem angemessenen Urteilsspruch des Königs ihre Verwandten verloren. Das war der Grund dafür, dass sich das Volk im Lande gegen Olav erhob. Sie ertrugen einfach seinen Gerechtigkeitssinn nicht; er aber wollte lieber die Königskrone verlieren als ungerecht zu richten.”

Zur Zeit der Herrschaft König Olavs lagen in Norwegen die Sonderinteressen der Sippen im Streit mit dem Kampf des Königs um Gerechtigkeit und Frieden für alle. Von diesem seinem Regierungsprogramm konnte der König keinen Zollbreit abweichen, – und das sollte zu seinem Tode führen. Norwegische Historiker sind schnell dabei, König Olav als einen rachesüchtigen Phantasten zu bezeichnen, wenn er in die Sippengesellschaft eingriff. Die Saga stellt das aber anders dar: Wenn der König die Mächtigen und Reichen wegen Gesetzesvergehens bestrafte, wird das nicht als ein impulsiver Racheakt dargestellt. Die Saga berichtet, dass der König über Gesetzes- und Rechtsbruch sehr ungehalten war – das leidenschaftliche Blut der Hårfagresippe und die Besessenheit des Wikingerlebens wogten und wallten immer noch in ihm – aber er bewahrte stets innere Ruhe. Ein besonnenes Gerichtsverfahren ging in jedem Falle einer Strafvollstreckung voraus, die sich gern ein oder zwei Tage hinausschieben konnte.

Hatte König Olav eigentlich eine Wahl in seinem Verhältnis zu den mächtigen und reichen Leuten? Er hätte ganz gut ungestört als König in Norwegen sitzen können, wenn er die Häuptlinge nach ihrem Gutdünken hätte schalten und walten lassen. Aber, wie hätte es dann um die Sache Gottes ausgesehen? In einem Land, wo Sippenfehden, Widerstand gegen das Christenrecht und Plünderungen auf eigenem Boden sich hätten unbeachtet austoben können, hätte das Christentum nur wenig Chance gehabt mehr zu sein als eine goldene Verziehrung auf einer brutalen Gesellschaft – das Recht des Stärksten wäre oberstes Gesetz gewesen.

Kaiser Karl war sein großes Ideal. Es wäre verwegen zu behaupten, dass er Person und Herrschaftsmodell des Kaisers klar präsent hatte, als er Rouen verließ und heimwärts segelte. Aber im Laufe seiner Königszeit gewann das Idealbild immer schärfere Konturen. Hierbei haben gewiss viele lange Gespräche mit den englischen Bischöfen seines Gefolges eine große Bedeutung gehabt. Im Königshaus, das er sich in Nidaros bauen ließ, hatte Bischof Grimkjell seinen Sitz gleich neben dem Ehrenplatz. Dieser Prälat begleitete ihn auf all seinen Reisen. Grimkjell muss ein frommer und gelehrter Mann gewesen sein. Er kam aus der angelsächsischen Kirche, wo die Geistlichen vor Eifer für die Reformen von Cluny brannten. Grimkjell mag das Idealbild eines Königs im Kopf König Olavs hervorgezaubert haben – er muss Olav geschildert haben, was es heißt, ein “gerechter König” (rex iustus), ein “König von Gottes Gnaden”, “ein “Stellvertreter Gottes” bei der Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung zu sein. Er mag ihm viel von der Hoffnung erzählt haben, die der Papst auf den Frankenkönig setzte, als er ihn zum Kaiser krönte, und wie Karl der Große sein Leben eingesetzt hatte, um in Europa nach der Völkerwanderung wieder Frieden zu schaffen, die Ströme von Blut zu stoppen, die in den andauernden Sippenfehden der germanischen Stammeshaüptlinge flossen. Grimkjell mag ihm berichtet haben, wie der Kaiser im Kampf für Gesetz und Ordnung gesiegt hatte. Er hat wohl auch keinen Hehl aus des Kaisers schwachen Seiten gemacht, dass er sich zu sehr in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischte, dass er unnötig hart verfahren war – besonders gegen die Sachsen. Grimkjell mag König Olav von dem großen Verfall Europas nach dem Tode Karls des Großen erzählt haben, – mag auch geschildert haben, wie Karls Königsgedanke 100 Jahre später in verbesserter Auflage im Kielwasser der Reformen von Cluny wiedergeboren wurde: Der gerechte König als Kämpfer für Frieden, Gesetz und Recht in seinem Reich, so dass das Christentum blühen und sich frei entfalten konnte.

Wollte König Olav es schaffen, bis zu diesem Königsideal vorzudringen, musste er gegen die reaktionären Sonderinteressen der Mächtigen und Reichen angehen, die dem Fortschritt der Sippe den Vorrang vor dem Gemeinwohl des Volkes gaben. Eine andere Wahl hatte er nicht, wenn er für die Sache Christi in Norwegen kämpfen wollte. So mag es auch Olav selbst gesehen haben: Der Kampf für Gesetz und Recht, der Kampf gegen die Übergriffe der Sippenhäuptlinge war ebenso ein Teil des Missionswerkes wie der Bau von Kirchen und die Verkündigung der Botschaft Gottes auf den Thingversammlungen. Genau diese Friedensarbeit hat ihm mächtige Feinde geschaffen; und diese haben ihn am Ende umgebracht. So muss auch in diesem Zusammenhang betont werden, dass es in der Schlacht von Stiklestad absolut um christliche Werte ging.

König Olav versuchte zunächst, den Weg der Diplomatie zu gehen. Er strengte sich an, die Mächtigen und Reichen auf seine Seite zu ziehen, indem er sie zu Lehnsmännern machte, die über ein großes Grundeigentum verfügten. Als Entgelt sollten sie vor ihm den Treueid ablegen, sollten so seine Leute werden und ihn in den reichspolitischen Dingen unterstützen. Als er merkte, dass ihre Freundschaft nur halbherzig war und dass sie wie bisher weiter machten, setzte er Vögte ein, die auf den königlichen Höfen ringsum im Lande das Regiment führten. Sie stammten aus Sippen, die nicht so mächtig wie die der Lehnsmänner waren, und ihre ganze Stellung und ihr Ansehen dem König verdankten. Im Namen des Königs sollten sie bei Streitigkeiten und in Rechtsstreiten die Bauern und die armen Leute unterstützen. Auch sollten sie ein wachsames Auge auf die Lehnsmänner und deren Gesetzesbrüche haben und dem König darüber Bericht erstatten. Das fiel natürlich nicht auf guten Boden. Die Lehnsmänner empfanden das als Einmischung in ihre angestammten Rechte und beschimpften die Vögte als “Kreaturen des Königs”. Auftakt zum Aufstand gegen König Olav war genau ein solcher Rechsstreit zwischen dem Sohn eines Mächtigen und Reichen und einem Vogt.

Knut der Große erobert Norwegen

Der Anstoß zum offenen Aufrohr kam, als Knut der Große, König von Dänemark und England, Anspruch auf Norwegen erhob. König Knut war ein steinreicher Mann. Er schickte Männer nach Norwegen mit Säcken voller Kostbarkeiten. Die Sendboten nahmen Kontakt zu den Mächtigen und Reichen auf und machten ihnen reiche Geschenke unter der Bedingung, auf Knuts Seite überzugegen und gegen König Olav zu kämpfen. Außerdem wurde ihnen eine große Machtfülle im Land versprochen für den Fall, dass Knut selbst König von Norwegen werden würde. Der Abfall war gewaltig. König Knuts “rotem Gold” konnten nur wenige widerstehen. Sein Versprechen, ihre Macht auszudehnen lockte mindestens genauso viel. Den Ausschlag gab aber der Gedanke, dass sie ihr eigener Herr sein würden – ohne Einmischung von Seiten eines Königs, der im Ausland saß. Die Häuptlinge brachen ihren Treueid, den sie König Olav geschworen hatten, und gingen zum Feind über. Es gibt Historiker, die kritisieren, dass König Olav hart gegen die Landesverräter vorging. Dann ist es verführerisch, einen Vergleich mit Dingen zu ziehen, die hierzulande in neuerer Zeit geschehen sind. Nach dem Krieg stellten wir eine Reihe Landesverräter an die Wand. Leider Gottes! Einige Jahrzehnte später bekam ein Kerl, der Norwegen für Rubel verkaufte, 20 Jahre Gefängnis. In historischer Perspektive hinken die Vergleiche und zeigen doch Parallelen auf.

Wir brauchen den Kampf zwischen der Aristokratie der Mächtigen und Reichen und dem Reichskönig nicht schwarz – weiß malen. Zwar sang der Skalde Sigvat in einem Lied: ”Wer seinen guten Herrn um Gold verkauft, wandert einmal in die schwarze Hölle.” Und Bauer Torgeir auf Sul in Verdal schreibt einmal über Olav Haraldssons Feinde und nennt sie ”Königsverräter, die dem Teufel Freude bereiten.” Snorre selber schildert diesen Kampf mit größerer Gelassenheit. Er steht auf Olavs Seite. Doch ist seine Sympathie nie einseitig. Er kennt den ethischen Forderungskatalog der Sippengesellschaft von Island her. Er mag verstanden haben, dass nicht nur König Knuts rotes Gold und das Versprechen von Macht für die Mächtigen und Reichen verlockend waren, sondern auch der Gedanke an Rache. Die Mächtigen und Reichen, die wir von der Saga her kennen, hatten mehrere ihrer Verwandten durch ”des Königs gerechtes Urteil” verloren. – Es war so, dass der König glaubte, das Recht zur Hinrichtung ihrer Verwandten zu haben; aber die Sippenrache hatte auch ihre klare Sprache: ”Seine ganze Ehre verliert, wer seine getöteten Verwandten ungerächt in der Erde liegen lässt.” Sigrid, Mutter des getöteten Asbjörn Selsbane, drückt den todbringenden Speer Tore Hund, Asbjörns Onkel, in die Hand und sagt: ”Wenn du eine Mannestat vollbringen willst, dann schleudere diesen Speer mit deinen Händen mitten in Olav Digres Brust! Und das sage ich dir: Wenn du Asbjörn nicht rächst, dann bist du für jedermann ein ehrloser Schuft.” Tore Hund gehorcht der unerbittlichen Forderung der Sippenrache. Bei Stiklestad wurde der Speer gegen den König geschleudert. ”Der ging ihm unter das Panzerhemd und hinauf in den Magen.” Snorre bewahrt seine Objektivität und meidet die Schwarz – Weiß – Malerei; er verstand ja beide Konfliktsparteien: Die alte und die neue Zeit standen gegeneinander.

Knut der Große kam mit zahlreichen Schiffen und großer Mannschaft nach Norwegen gesegelt. Es wurde dünn mit Freunden rings um Olav Haraldsson. Frühere Kampfgefährten verließen ihn. Knut wurde auf allen Thingversammlungen zum König gewählt und gewann so das Land ohne einen Schwertstreich. König Olav musste aus dem Land flüchten. In einem Fjord bei Sunnmöre brachte er seine Kriegsschiffe unter. Dann zog er über das Gebirge zum Gudbrandstal und in Opplandene; er machte erst halt, als er in Schweden angekommen war. Vorher hatte er von seinen Leuten alle, die es wollten, nachhause entlassen. Bischof Grimkjell blieb in Opplandene und ließ sich bei seiner Nichte in Stange nieder. Für Olav war wichtig, dass der Bischof in Norwegen blieb. So konnte Grimkjell sich in der Abwesenheit des Königs um die neuorganisierte Kirche kümmern, so gut es ging. In Schweden ließ Olav Königin Astrid zurück. Mit seinem Sohn Magnus und einer Handvoll Getreuer zog er weiter nach Gardarike (Russland). In Novgorod ließ er sich nieder, wo er von Großfürst Jaroslav und der Fürstin Ingegerd von Schweden, die er seinerzeit hätte heiraten sollen, gut aufgenommen wurde.

Der Mensch Olav

Bevor wir das weitere Leben König Olavs verfolgen, wollen wir kurz innehalten. Wir fragen: Welchen Eindruck hat uns bis jetzt die Saga vom Menschen Olav vermittelt?

Es ist nicht der Stil der Sagaverfasser, ihre Helden mit psychologischen Begriffen zu beschreiben – das geschieht in späteren Zeiten. Sie geben uns einen Einblick in den Charakter der Menschen, indem sie ihr Handeln beschreiben. Die Saga berichtet über eine Entwicklung im Leben Olav Haraldssons. Zuerst sehen wir den jungen Seekönig, der aus einer Reihe von Schlachten siegreich hervorgeht. Er erweist sich als ein vorzüglicher Stratege, der viele Kniffe der Kriegeskunst beherrscht. In der Zeit kann man keine Distanz zwischen Olav und seinen Leuten merken. Die Skalden preisen seinen Mut, seine Klugheit und seine Kraft. Religiöse Grübeleien und moralische Skrupeln sind ihm unbekannt.

Später begegnen wir in der Saga dem König und christlichen Staatsmann. Nun wird die Persönlichkeit Olavs mehr in den Vordergrund gerückt. Ein König von Gottes Gnaden verliert nie seine Selbstbeherrschung und handelt niemals übereilt. Wort und Tat sollen gut durchdacht sein. Es sieht so aus, als ob Snorre für diese Seite von Olavs Charakter eine besondere Bewunderung hat: Als Gesandte des Schwedenkönigs nach Norwegen kamen, um Steuern einzufordern und völlige Unterwerfung zu verlangen, redete Olav mit ihnen “still und ruhig”. Als der Schwedenkönig sein Versprechen brach, ihm Tochter Ingegerd zur Frau zu geben, “war er schrecklich verärgert und außer sich – und es dauerte mehrere Tage, bis man wieder ein Wort aus ihm herausbekam”. Dann hellte sich die düstere Stimmung wieder auf und er kam wieder zu seinen Gefolgsleuten. Als die Nachricht kam, dass sein guter Freund und Gefolgsmann Öyvind Urarhorn auf den Orkneyinseln getötet worden war, “reagierte der König nicht sonderlich darauf; man konnte aber ahnen, dass ihm so zumute war, als habe er einen guten Mann verloren, – und das man das aus Trotz gegen ihn getan hatte”. Fast immer war er bei Vorfällen, die ihm zuwider gingen, sehr schweigsam. Als Asbjörn Selsbane in der Stube der Gefolgsleute auf Avaldsnes Tore schlug und “der Kopf auf den Tisch vor den König und der Körper über seine Beine fiel, wurde der König sehr wütend, beherrschte sich aber und redete weiter wie immer”. Als Erling Skjalgsson mit seinen Leuten die Kirche in Avaldsnes umzingelte, wo der König der Messe beiwohnte, gab es viel Krach und Waffenlärm. Alle, die in der Kirche waren, sahen hinaus, – nur der König nicht; er blieb stehen und sah sich nicht einmal um. Als die Messe zu Ende war, ging der König aus der Kirche. Ruhig und besonnen schritt er zwischen den beiden Reihen der bewaffneten Männer einher. Ein Wort von Erling und er wäre getötet worden. – Snorre bewunderte gerade diese stille Würde und unfassbare Selbstbeherrschung.

Hinter diesen Berichten spüren wir etwas vom Christkönig, Gottes Gesalbten, der sich Kraft aus einer höheren Welt holt. Trotz seines in sich gekehrten Wesens wird er als ein heiterer Mann geschildert, der in Rede und Lied scherzen konnte. ”Er hat ein starkes Gefühl für die Würde des Königtums, – aber nicht sich selbst, als Menschen, nahm er so unchristlich ernst” (Sigrid Undset).

Snorre berichtet am Anfang seiner Saga, dass ”König Olav ein guter Christ war, – besonnen, schweigsam, aber aufs Geld versessen”. Am Schluss der Saga schreibt er: ”Aber es stimmt nicht, wenn die Leute von ihm behaupteten, er sei seinen Leuten gegenüber geizig; er war seinen Freunden gegenüber sehr freigebig”.

Er hat sich nie um Publizität bemüht. Er war kein glänzender Volksheld wie der kontaktfreudige, freigebige, gesellige Sportsmann Olav Tryggvason.

Am Beginn der Saga heißt es von Olav Haraldsson: ”Alle seine Verwandten und Bekannten hatten eine gute Meinung von ihm.” – In diesen Worten liegt eine gewisse Einschränkung. Diejenigen, die ihm am nächsten standen, mochten ihn, – aber nicht alle anderen. Der Literaturhistoriker Fredrik Paasche meint, dass Olav nie über diese Grenzen hinausgekommen ist. Seine Leute bewunderten ihn, – verstanden haben sie ihn niemals. Da war etwas Fremdes an ihm, das sie niemals durchdringen konnten. Die Reichsidee, für die er glühte, stieß auf Gleichgültigkeit, Unverstand und Feindschaft. Sein brennender Eifer für Christentum und Kirche wurde von wenigen verstanden. Auch hier war er ein einsamer Mann. Wer ihn am besten verstand, war Sigvat der Skalde. Die zwei lagen auf gleicher geistiger Wellenlänge – Sigvat war ein ebenso weitgereister Europäer wie der König selbst.

Dass Olav Frauen liebte, deutet Snorre an, wenn er erzählt, dass der König in seinem Gefolge ein Dienstmädchen hatte. Sie hieß Alvhild und war ”sehr hübsch”. So geschah es in diesem Frühling, “dass Alvhild schwanger war”. Das war sein illegitimer Sohn Magnus. Snorre erwähnt nur diesen Fall von Untreue gegenüber Königin Astrid. Andere Sagatraditionen wissen zu berichten, dass er von dem Verlangen nach mehreren Frauen besessen war. Die Verse, die er über die schwedische Königstocher Ingegerd in Gardarike gedichtet haben soll, gehören nach Sigrid Undsets Meinung “zu den schönsten erotischen Gedichten, die wir in altnorwegischer Sprache besitzen”.

Olavs Seitensprünge zeugen wohl davon, dass sein zügelloses Leben als Wikinger, im Verein mit dem heidnischen, altnorwegischen Recht des Mannes, Geliebte zu haben, auch das christliche Gebot der Treue und Enthaltsamkeit noch überschattet hat. Olav kannte das Gebot sehr wohl, vermochte es aber nicht in seinen Gewissensbereich einzubauen.

Können wir Snorre als Historiker vertrauen, – vermittelt er uns ein richtiges Bild von Olav Haraldsson? – Als Verfasser hatte er oft seine Freude am puren Erzählen. Wo die Quellen nichts hergaben, hat er wohl die Leerräume mit eigenen Erfindungen ausgefüllt; ebenso lassen manche Einzelaussagen Fehler vermuten. Er würde es aber nie gewagt, auch nicht gewüscht haben, von der Persönlichkeit Olavs ein falsches Bild zu zeichnen. Snorres Olavssaga bezeugt auf jeder Seite einen Verfasser, der leidenschaftlich darum kämpfte, die Persönlichkeit des Königs bis auf den Grund kennen zu lernen. Gewiss, er hat erst 200 Jahre nach dem Tod Olavs sein Werk verfasst, doch laufen von seiner Saga viele Fäden bis zur mündlichen Tradition Islands und Norwegens zurück. Und wenn etwas die Menschen in der alten Zeit interessierte, dann waren es Charakter und Wesensart der großen Häuptlingsgestalten, die sie in Krieg und Frieden kennen gelernt hatten. Wir können uns auf den Historiker Erik Gunnes verlassen, der sagt, “dass wir uns auf die Hauptzüge der Olavsbiographie einigermaßen stützen können.”

Da meldet sich eine andere Frage: Wie sehr ist Snorres Olavsbild von der kirchlichen Legende beeinflusst wie sie nach dem Märtyrertod des Königs gebildet wurde? Wie wir ihn bisher kennen gelernt haben, kann dieser Einfluss nur gering gewesen sein. Die kirchliche Legende finden wir u.a. in dem Buch des Erzbischofs Eystein Erlendsson aus den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts. Er trägt den Titel “Des heiligen Olavs Leiden und Wunder”. Auf der ersten Seite dieses Buches wird Olavs Leben so vergoldet dargestellt, dass der Kenner der Olavsgestalt bei Snorre zweifeln kann, ob es sich um ein und dieselbe Person handelt. Die kirchlichen Heiligenlegenden hatten ja auch nie zum Ziel, eine exakte historische Darstellung des Lebens heiliger Männer und Frauen zu geben. Sie wollten der Erbauung dienen, sie wollten von Menschen erzählen, die ihr Leben nach dem christlichen Ideal der Bibel ausrichteten. Sünde und Unvollkommenheiten waren in dem Leben der Betreffenden ausgeklammert. Und so sehen wir in diesen Darstellungen das Licht des Heiligenscheins schimmern. Sie lügen nicht, haben sie doch nicht die Zielsetzung, ein ganzheitliches Bild – zum Guten oder zum Schlechten – eines Menschenlebens zu zeichnen. Snorre ist Historiker und kann, soweit wir bis jetzt seine Olavsgestalt kennen gelernt haben, nicht von der kirchlichen Legende beeinflusst worden sein. Snorre übertreibt ja auch nicht die guten Seiten des Königs – es regnet nicht nur Superlative …. Er unterlässt es auch nicht, von dem wilden Jugendleben des Königs zu erzählen, von seinem widerspenstigen Eigensinn und von den heißen Leidenschaften, die sich nicht zügeln lassen. Bei ihm gibt sogar Olav selbst seine Schwächen zu: Er fragt den hellseherischen Dag Raudsson, welche Fehler er habe; hinterher gibt es zu, dass Dag das Richtige gesehen habe. Nein, so weit wir bis jetzt Snorres Olav studiert haben, – es ist schwer, eine Spur der kirchlichen Legende zu entdecken.

Anders ist die Sachlage, wenn Snorre über die Frömmigkeit, über das Christenleben des Königs berichtet. Hier kann ein derartiger Einfluss vorliegen. Wenn Snorre Olav vor einer wichtigen Begebenheit ganze Nächte hindurch wachen und beten lässt, können wir sicher einige Stunden abziehen. Etwas überdreht wirkt auch, wenn er Olav ohne Ausnahme jeden Tag zum Frühgottesdienst und zur Messe gehen lässt. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Olav ein Mann des Gebetes war und auch gern an der heiligen Messe teilnahm.

Wenn wir die Wahrheit sagen wollen, dann ist besonders auf einem Gebiet die Einwirkung der kirchlichen Legende auf Snorres Olavsbiographie zu spüren, – dort, wo er den König als Wundermann beschreibt. Snorre selbst war ein gläubiger Katholik und zweifelte nicht daran, dass Wunder geschehen. Er hat aber auch begriffen, dass das eine Sache der Kirche ist. Aus Solidarität mit den Geistlichen ist er wohl schnell dabei gewesen, auch Wunderberichte in sein Geschichtswerk einzuflechten. Das hat seine Glaubwürdigkeit etwas gemindert – obwohl er die Wunder von der Ebene der Außergewöhnlichen herunterholt, indem er die meisten erbaulichen Einzelheiten weglässt; zudem vermeidet er eine Anhäufung von Wundern, indem er sie gleichmäßig über die folgenden Königssagas in seiner “Heimskringla” verteilt. Wenn Snorre hierbei auch übertreibt, so gibt uns das keinen Anlass, an Wundern zu zweifeln, die auf das Gebet des Königs hin – besonders nach seinem Tod – geschehen.

König Olav in Gardarike

In Gardarike lässt Snorre Olav eine tiefgehende geistige Entwicklung durchmachen. Darüber schreibt er nur etwas: alles andere überlässt er der religiösen Intuition des Lesers. Geistige Irrwege der Seele zu schildern, ist nun einmal dem Stil der altnorwegischen Saga fremd. Olav kommt nach Gardarike und lernt das Geheimnis des Leidens kennen. In seinem Königsamt ist er gescheitert, das Sippenerbe hat er verloren. Das Erbland ist von einem ausländischen König erobert. Die Zukunft des Christentums ist bedroht, wenn die Mächtigen des Landes weitermachen wie früher. Der selbstbewusste Olav lebt nun von der Gnade des Großfürsten Jaroslav. Vor Ingegerd, der ihm einst zugedachten Braut, macht er eine jämmerliche Figur. Den Glorienschein der Macht hat er verloren – ein König ohne Land.

Er ist wie gelähmt. Soll er das Angebot Fürst Jaroslavs annehmen, die Herrschaft über die heidnischen Bulgaren zu erobern? Die Schar seiner Leute, die ihm von Norwegen gefolgt ist, rät ihm ab. Sie sehnen sich nach ihren Höfen zuhause. Er beschäftigt sich auch mit dem Gedanken, alle weltliche Macht dranzugeben, als Pilger nach Jerusalem zu ziehen und dort oder anderswo in einen Mönchsorden einzutreten. Am meisten aber grübelt er darüber nach, ob sich eine Chance bieten könnte, Norwegen wiederzugewinnen.

Hier brach der heidnische Gedanke vom Glück aufs Neue bei ihm durch. Auf seinen Fahrten im Ausland mag der König Beispiele dafür gesehen haben, dass Christenfürsten Niederlagen einstecken können. Er mag auch gehört haben, wie Geistliche darüber predigen, dass man hier im Leben leiden und sterben müssen wie Christus. Diese Teile der Verkündigung haben ihn aber wohl kalt gelassen. Das heidnische Erbe der Ahnen muss zu stark gewesen sein. Zwei Jahre vergehen in der Fremde. Das Schweigsame, Introvertierte im König gewinnt die Oberhand. Er grübelt über Glück und Unglück nach. Damals als Heide muss er geglaubt haben, dass das Schicksal der ausschlaggebende Faktor sei; es bestimmte, wer ein Glückskind oder ein Unglücksmann sein sollte. Als Christ musste er in beidem den Willen Gottes sehen. Aber dann musste Glück Gottes Lohn und Unglück Gottes Strafe sein.

Wir lassen Snorre das Wort: ”Am meisten dachte er darüber nach, ob es eine Möglichkeit gab, sein Reich in Norwegen wieder zu erlangen. Dabei erinnerte er sich daran, dass in den 10 ersten Jahren seiner Königherrschaft alles leicht und unkompliziert gewesen war; später wurde dann alles, was er sich ausdachte, schwer und schwierig; wenn er sein Glück versuchte, ging alles schief. Und so bezweifelte er schließlich, dass er gut beraten war, so sehr auf das Glück zu vertrauen, – und er lief am Ende mit kleiner Streitmacht seinen Feinden direkt in die Hände……. Hin und her dachte er darüber nach, – wusste aber nicht, was er tun sollte, da er ja der Meinung war, dass das, was er gerade dachte, das sichere Unglück sein würde.”

Solche religiöse Grübeleien zehrten mit der Zeit an seinen inneren Kräften. Da galt es nur eines zu tun – alles in Gottes Hände zu legen. – Das tat Olav. Snorre berichtet: ”Mit solchen Gedanken ging er oft um; er übergab seine Sache Gott und bat ihn: Lass etwas geschehen. – Dann würde er sehen, was das Beste sein würde.” Das Beten bringt Olav aus dem Unheilzirkel seiner Grübeleien. Snorre schreibt: ”Es ist sicher, dass Olav ein frommer Mann war, der zeit seines Lebens allezeit zu Gott betete. Als dann seine Macht schrumpfte und seine Gegner an Stärke gewannen, verlegte er sich ganz darauf, Gott zu dienen. Da hatte er an nichts anderes mehr zu denken, und keiner konnte ihn da herausreißen.”

Gott erhört sein Gebet und weist ihm den Weg. Auch diesmal geschieht es im Traum. Snorre lässt ihm im Traum Olav Tryggvason erscheinen. Dieser reißt ihm alle Träume mitten durch. Was in Zukunft alles gilt, ist, dem Willen Gottes zu folgen und das Rechte zu tun. Über Sieg oder Niederlage bestimmt Gott. Olav Tryggvason verspricht ihm weder das eine noch das andere. “Geh zurück in dein Reich, das dir zu eigen ist, das du geerbt und lange mit der Hilfe Gottes regiert hast.”

Als der König aufwacht, sind alle Zweifel von ihm abgefallen. Sein Leben hat wieder eine Ausrichtung. Sein Wille ist gestählt. Es werden Pläne gemacht. Die Krieger danken ihm begeistert. Von Norwegen kommt die Nachricht, dass Jarl Håkon ertrunken ist. Das Land ist ohne Führung. Es ist Zeit zu handeln.

Märtyrertod

Wir folgen Olav auf seinem letzten Unternehmen – bis Stiklestad. Viele Episoden in den Sagaerzählungen legen wir nicht auf die Goldwaage moderner Historiker. Es geht um die Stimmung, die uns in ihnen in Bann schlägt, wenn wir diese Kapitel lesen.

Die Zeit in Gardarike ist in düsteren Farben gemalt. Man ist hierbei versucht, an die dunkle Nacht der Mystiker zu denken. Mit dem Aufbruch kehrt die freudige Stimmung in das Kriegsheer zurück – Freude über das Zusammenstehen der Freunde – Freude, dem quälenden Zweifel entronnen zu sein, – Freude darüber, dass man endlich etwas tun kann, – Freude über die Ankunft in Schweden und das Wiedersehen mit Frau, Tochter und Freunden, die von Norwegen her dem König zu Hilfe eilen. Dann die langen Märsche durch Wälder, über öde Landstriche und Gebirge. – Von allen Seiten kommen Gerüchte: Die Mächtigen und Reichen in Norwegen haben ein außergewöhnlich großes Heer zusammengebracht, um ihnen entgegenzutreten, sobald sie ihren Fuss auf norwegischen Boden setzen. Kluge Leute in Schweden und von Norwegen her warnen vor dem verwegenen Unternehmen. Im Kriegshaufen breitet sich eine Vorahnung von einer Niederlage aus. Das tut aber ihrer Freude keinen Abbruch. Gott will es! Da hilft keine Warnung. Der Wille des Königs ist stahlhart und zielbewusst. Das Verwunderliche geschieht: Der schweigsame Mann öffnet sich seinen Leuten. Auf dem Weg zum Martyrium ist Olav froh und gesprächig geworden. Seine Freude springt auf alle über, die ihm nahe kommen.

Er hat kein krankhaftes Verlangen zu sterben. Er reitet nicht bergab über Verdal in Nordtröndelag ohne Waffen und mit gebeugtem Haupt. Der Krieger lebt in ihm wie nie zuvor. Das Recht ist auf seiner Seite. Man wird kämpfen, um zu gewinnen. Man wird zum Kampf anfeuern, um zu siegen. Der König und seine Leute wissen aber, dass ihre Chance klein ist. Die Übermacht ist zu groß. Der Kampfeswille ist ungebrochen; zugleich ist man auf Niederlage und Tod gefasst.

Als sie sich Stiklestad nähern, wollen die Kriegsleute Bauernhöfe anstecken. Der König verwehrt ihnen das: ”Wenn wir im Kampf fallen, ist es besser, kein Diebesgut bei uns zu haben.” Der König spendet Geld, um für die Gefallenen des Bauernheeres Messen lesen zu lassen; die Leute, die von dem Heer des Königs fallen, brauchen keine Seelenmessen. ”Die und wir werden zusammen erlöst.”

Tormod Kolbrunarskalde weckt das Heer in aller Frühe mit einem Gedicht. Der König gibt ihm dafür einen Goldring als Belohnung. Tormod bedankt sich und sagt: ”Wir haben einen guten König, – es ist jetzt aber nicht leicht zu sagen, ob er noch lange leben wird. König, ich habe eine Bitte: Lass uns zusammen bleiben, im Leben und im Tod.” – Und so geschah es auch.

Zum Bauern auf Stiklestad sagt der König: ”Falls ich in der Schlacht falle, dann erweise meinem Leichnam den letzten notwendigen Dienst, – das wird dann auch dir zuteil werden.” Im König wird die Vorahnung von seinem Tod immer größer; das macht ihn aber nicht unruhig.

Kurz vor der Schlacht legt er sein Haupt in den Schoß von Finn Arnesson zum Schlafen. Im Traum klettert er eine Leiter empor, die bis hinauf in den Himmel reicht. Als Olav erwacht und diesen Traum seinem treuen Freund Finn erzählt, meint dieser: ”Ich glaube, dass dies deinen Tod ankundigt, – falls dich nicht nur die Schlafmüdigkeit übermannt hat.” – Zu seinen Leuten sagt der König: ”Wenn ihr im Kampf alles verliert, wird Gott euch einen Lohn geben, der größer ist als alle Freude über irdischen Besitz.” Und weiter: ”Ich will, dass ihr es wisst: Ich weiche diesem Kampf nicht aus. Ich siege über die Bauern oder falle in der Schlacht. Ich bete zu Gott, dass er mir zuteil werden lässt, was er für mein Bestes hält.”

Der Tod wird des Königs Los. Die Schlacht rast. Olav kämpft tapfer. Die Bauern töten ihn. Die Blutrache ist vollzogen. Die Schilderung von Olavs Tod hat von seiner späteren Heiligenglorie her Glanz bekommen. Der König erhält einen Hieb ins linke Bein. ”Als der König verwundet war, stützte er sich auf einen Stein, warf sein Schwert weg und bat Gott um Hilfe.” Dazu muss gesagt werden, dass kein Krieger in alter Zeit, der etwas Sinn für seinen Nachruhm hatte, bei einer leichteren Verwundung sein Schwert freiwillig weggeworfen hätte. Und was ein sterbender König vor sich hinmurmelt, wenn ein Stich oder Hieb ihm in Blitzeseile das Leben raubt, – das geht im Lärm der Waffen unter. Die fromme Tradition stattet gern ihre Helden mit ”Märtyrerfakten” aus. Der heilige Olav darf sich so ausdrücken, – er ist ja ein Märtyrer.

Olav wird ein Heiliger

Nach dem Tod des Königs schlug die Stimmung praktisch über Nacht um – zuerst bei den Häuptlingen, dann bei den Bauern. Tore Hund kümmerte sich um den Leichnam des Königs. Von den Mächtigen und Reichen ist er der erste, der behauptet, dass der König ein Heiliger sei. Einar Tambarskjelve, der nicht bei der Schlacht dabei war, sagt dasselbe. Kalv Arnesson – er war wohl derjenige von den Mächtigen und den Reichen, der dem König den Todesstreich gab – änderte ebenfalls seine Meinung. So verhielt sich ein Mächtiger und Reicher nach dem andern.

Das gewöhnliche Volk in Tröndelag, einst „rasend vor Feindschaft gegen den König” wechselte seine Haltung praktisch über Nacht. ”In dem Winter gab es viele in Tröndelag, die erzählten, dass König Olav ein wirklich heiliger Mann sei; es geschahen viele sichtbare Zeichen seiner Heiligkeit. Viele beteten zu König Olav in Dingen, die ihnen wichtig waren.”

Dieser Stimmungswechsel ist ein Geheimnis, das sich schwer erklären lässt – es sei denn, dass der König wirklich ein Heiliger war. Es gibt andere Theorien, die alle einen Funken Wahrscheinlichkeit haben.

Es folgen Hungerszeiten, als Knuts Sohn Svein zusammen mit seiner Mutter Alfiva im Land an die Regierung kommt. Noch strengere Gesetze, als sie Olav je erlassen hatte! Unheilvolle Stimmung, weil man den König getötet hat! Heidnische Gedanken über den König als Mittler zwischen Menschen und Götterwelt! Den König hat man getötet! Angst und Grauen greifen um sich. So weit, so gut! – Aber nie ist etwas Positives aus Negativem entstanden – da müssen neue Wertvorstellungen her. Angst und Grauen drücken eher nieder als dass sie den Geist aufrichten. Die Angst der Trönder kann aber nicht die Glut der Olavbegeisterung erklären, die sich von Stiklestad aus über ganz Nordeuropa ausbreitet. Zudem waren es Leute von außen, die sich am stärksten dafür einsetzten, dass Olav zum Heiligen erkoren wurde: Einar Tambarskjelve, der von England heimkam und nicht an der Schlacht teilgenommen hatte; der Dänenkönig Svein war damit einverstanden; Torarin Lovtunge, Skalde in seinem Gefolge, pries den gefallenen Feind heilig und ermunterte Svein, Olavs Fürbitte zu erflehen; der Skalde Sigvat, der auf seiner Pilgerreise nach Rom vom Tode seines Freundes erfuhr. Keine dieser Personen war für eine Angstpsychose anfällig.

Gleiches müssen wir von Bischof Grimkjell sagen, der Olav für heilig erklärte. (In damaliger Zeit war der Ortbischof dafür zuständig, nicht der Papst.) Wie früher gesagt, hielt sich Bischof Grimkjell in Opplandene auf, als König Olav im Exil weilte. Als das Jahr nach dem heiligen Olavs Tod vergangen war, schickten die Trönder nach Grimkjell. Der Bischof zögerte keinen Augenblick zu kommen, – denn er glaubte an die Echtheit der Wunder, die man von Olav berichtet hatte und an seine Heiligkeit.

Olavs Leiche, die seine Freunde im Dunkel der Nacht im sandigen Flussufer gleich oberhalb der Stadt begraben hatten, wurde nun hervorgeholt. Eingehend berichtet Snorre über die Wunderzeichen, die an des Königs heiliger Leiche sichtbar waren: Ein herrlicher Duft strömte aus dem Leichnam hervor; seine Wangen waren gerötet, so als habe er eben geschlafen; Haare und Nägel waren gewachsen.

(Ich muss hier einfügen, dass vier unabhängige Quellen gleich vor und nach der Reformation im Jahre 1537 bestätigen, dass der Leichnam des heiligen Olav unverwest im Sarge lag, auch damals.)

Snorre schreibt über die Heiligsprechung: “So wurde entschieden, nach des Bischofs Erklärung, mit der Zustimmung des Königs und nach dem Urteil des ganzen Volkes, dass Olav wirklich heilig war. Der Leichnam des Königs wurde nun in die Klemenskirche gebracht und über dem Hochaltar beigesetzt.”

Für den Bischof waren die Wunderzeichen sicher nicht der einzigste Grund für die Heiligsprechung. Wahrscheinlich ist er der geistliche Begleiter des Königs gewesen, während der ganzen Zeit seiner Herrschaft in Norwegen. Von England her war es ihm eingehend bekannt, was die Wikinger an Verwüstung angerichtet haben. Er verstand deren Mentalität. Wie wenige hat er Olav als Menschen und als Christen verstanden; er war sich darüber im Klaren, was in Gemüt und Leib in den Jahren nach der Taufe bei ihm vorging. Bischof Grimkjell wusste, was Gott von dem neubekehrten Seekönig verlangte. Er hatte beobachtet, wie Gottes Kraft in ihm arbeitete. Da muss er aber auch oft, vielleicht viele Male, davon Zeuge gewesen sein, dass Olavs Mitwirken mit Gott voller Fehler gewesen ist – vor allem, wenn sich das Hårfagreerbe und die Wikingerzeit zu stark in ihm bemerkbar machten. Aber ebenso oft mag der Bischof gesehen haben, dass er sich nach Fallen wieder erhoben und aufs Neue den Kampf aufgenommen hatte.

Bischof Grimkjell war nicht von dem Missverständnis geplagt, das anscheinend viele norwegische Historiker geerbt haben, – dass nämlich ein Heiligenleben sündenfrei sein müsse. Das ist ein direkt ketzerischer Gedanke aus neuerer Zeit. Wir lesen offenkundig in 1. Jo. , 10: “Wenn wir sagen, wir hätten nicht gesündigt, dann betrügen wir uns selbst, und seine Wahrheit ist nicht in uns”. Die katholische Kirche ist ein Stück weit selbst schuld, dass sich ein solcher Irrtum bei uns und bei anderen eingeschlichen hat. Es war im 17. Jahrhundert, als man begann, die Heiligen als einen Tugendspiegel herauszustellen. Die Verfasser von Heiligenbiographien wischten jedes Körnchen Sündenstaub von ihrem blankpolierten Heiligenschein ab. Erst nach dem letzten Weltkrieg räumte man gründlich mit den “Zuckerheiligen” auf. Die echten Heiligenbiographien – nicht deren feingeputzte Interpretationen – zeigen klar auf, dass die Heiligen oft auf krummen und gefährlichen Wegen gewandert sind, bevor sie die Vollkommenheit erlangten. Der Vorrang der Heiligen besteht nicht darin, dass sie von Fehlern frei sind, sondern dass sie die Gnade in ihrem Leben haben die Oberhand gewinnen lassen. Der Franziskanertheologe Bonaventura schreibt einmal im 13. Jahrhundert: “Weißt du nicht, dass viele Heilige sündige Menschen waren. Da sie große Sünden begingen, lernten sie, mit uns Sündern Mitleid zu haben.”

Skalde Torarin Lovtunge muss so ähnlich über den heiligen Olav gedacht haben, wenn er in seinem Gedicht schreibt: “So hat Olav sündenfrei die Seele vor seinem Tod erlöst.” Gott hat ihm alle Sünden vergeben; so konnte er gereinigt in die Himmelsburg eintreten. So mag auch Bischof Grimkjell seine Heiligkeit verstanden haben. Er hat den jungen Olav stehen gesehen – mit einem Bein fest im Heidentum, mit dem anderen im Christentum. Und so ist er Zeuge gewesen, wie er mit Gottes Gnadenhilfe über Jahre gekämpft hat, um das „Wikingerbein” ins Christenlager hinüberzubringen; – am Ende hat er den Sieg errungen.

Den Sieg hat Snorre im Martyrium bei Stiklestad gesehen. In der angelsächsischen Kirche, aus der Grimkjell kam, hatte man zu der Zeit einen weiten Märtyrerbegriff. Christliche Könige, die im Kampf gegen die heidnischen Gegner fielen, hielten den Status eines Märtyrers. Natürlich war sich Olav darüber im Klaren, dass er bei Stiklestad nicht gegen Heiden kämpfte; wir können aber sagen, dass er dort sein Leben für Christus eingesetzt hat. Deshalb mag er auch verstanden haben, dass das Christentum kein bisschen Chance hatte, mehr zu sein als ein dünnes Häutchen über der zersplitterten und gesetzlosen Sippengesellschaft, wenn er nicht selbst die Herrschaft im Lande übernahm. Besser als wir heute hatte er begriffen, dass der Kampf um das Reichskönigtum und der Kampf für das Christentum ein und dieselbe Sache war.

Was Olav zu seinen Lebzeiten nicht zu Stande gebracht hatte, erreichte er durch seinen Tod. Nach Stiklestad ist das Reichskönigtum ein unbestrittenes Faktum. Damit ist auch der Grund für das Wachsen des Christentums gelegt. Nach Olavs Tod am 29. Juli 1030 wächst das Christentum langsam von der Beobachtung äußerer Gesetzesvorschriften zu einer inneren Volksfrömmigkeit heran.

Niemand hier im Lande hat für Norwegen eine größere Bedeutung erlangt als der Heilige Olav. Den älteren Bürgern fällt es schwer, ihn zu begreifen. Ein junger Mensch aber, der erlebt, wie wir allmählich dabei sind, ins Heidentum zurückzugleiten, das der Heilige Olav einmal verlassen und dann bekämpft hat, wird sich gewiss leichter von seiner Person faszinieren lassen, – wird ihn sich zum Vorbild nehmen und um seine Fürsprache beten.

av Mats Tande publisert 27.01.2012, sist endret 04.10.2013 - 13:59