Die Veröffentlichung des "dritten Geheimnisses" von Fatima wirft neues Licht auf alte Spekulationen
"Kathpress"-Hintergrundbericht aus dem Vatikan
Vatikanstadt, 15.5.00 (KAP) Im Vatikan herrscht Erleichterung, dass durch die Veröffentlichung des sogenannten "dritten Geheimnisses" von Fatima vielen Spekulationen ein Ende gesetzt werden kann, die das Geschehen im portugiesischen Marienort eher ins Zwielicht rückten. Der päpstliche Haustheologe Georges Cottier zeigte sich befriedigt über die Entscheidung des Papstes. Nun könne kann man "vielen Mutmaßungen und auch Dummheiten ein Ende setzen", bemerkte der nüchterne Intellektuelle aus der Schweiz, der zu den engsten theologischen Beratern des Papstes zählt.
Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano, den der Papst in seinem bis zur letzten Minute geheim gehaltenen Überraschungs-Coup als Sprecher für die Ankündigung der Enthüllung ausgewählt hatte, sprach "von einem Zeichen der Hoffnung". Er bestätigte, dass der Papst seit langem an eine Veröffentlichung gedacht und nur auf den geeigneten Moment gewartet habe.
Ähnlich äußerte sich der Generalsekretär des vatikanischen Komitees für das Heilige Jahr, Erzbischof Crescenzio Sepe. Er bezeichnete die Enthüllung als ein zentrales Ereignis des Jubiläumsjahres.
In der italienischen Presse finden sich unterdessen neue Spekulationen über die Zusammenhänge der Prophezeiung mit dem Papstattentat von 1981. Die zentrale Frage lautet: Ahnte der Papst durch seine Fatima-Lektüre vorab schon den Anschlag? Und: Was weiß der Terrorist Ali Agca, der schon vor 15 Jahren in scheinbar wirren Äußerungen einen engen Zusammenhang zwischen seiner Tat und den Weissagungen der Muttergottes von 1917 behauptet hatte?
Alle Augen richten sich nun auf den Präfekten der römischen Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger. Seiner Behörde hat der Papst die Veröffentlichung und Erläuterung des schwer verständlichen und "symbolisch zu lesenden" Textes anvertraut, der seit einem halben Jahrhundert im Vatikan aufbewahrt wird. Der deutsche Kardinal sagte 1996, dass die Sensationsgier rund um das "dritte Geheimnis" die eigentliche Marienbotschaft - Umkehr, Gebet, Hinwendung zu Buße und Eucharistie - verdunkle und Christen das Geheimnis nicht unbedingt kennen müssten.
In diesen Worten kommt offenbar auch ein Unbehagen an den theologischen Verwirrungen zum Ausdruck, die im Zusammenhang mit den "Geheimnissen" im Umlauf sind. Für viele Gläubige ist es nicht leicht, die Fatima-Ereignisse von 1917 einzuordnen. Fromme Legenden vermischen sich mit Privatoffenbarungen, den apokalyptischen Texten der Bibel nicht unähnlich, während andere sie auf eine Ebene stellen mit den verschlüsselten Texten des Nostradamus.
Wenn die etliche Jahre nach den Visionen angefertigten Niederschriften der einzigen überlebenden Seherin Lucia dos Santos zutreffen, erzählte die Muttergottes ihr und den beiden anderen Hirtenkindern Francisco und Jacinta Marto ein aus drei Teilen bestehendes "Geheimnis". Der erste umfasste eine Höllen-Vision, die von manchen auf den Ersten Weltkrieg bezogen wird. Im zweiten Teil wird das Ende des Ersten und der Beginn des Zweiten Weltkriegs "nach einer unbekannten Lichterscheinung" am Himmel vorausgesagt. Es ist die Rede von "Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters". Ferner geht der zweite Teil der Weissagung auf Russland ein, das "seine Irrlehren über die Welt verbreiten und Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören wird".
Weiter heißt es: "Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden, am Ende aber wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren". Und weiter: "Der Heilige Vater wird mir Russland weihen, das sich bekehren wird".
Der dritte Teil dürfte nach dem, was Sodano jetzt in Fatima durchblicken ließ, in ähnlicher Sprache den Kampf von Gut und Böse, zwischen Atheismus und Kirche, abhandeln. Ein einzelnes Bild der Vision (von einem weiß gewandeten Bischof, der von Kugeln getroffen wird) lässt sich offenbar auf das Papstattentat von 1981 beziehen.
Für die Anhänger von Weltuntergangsprophezeiungen wird das "Geheimnis" damit weniger interessant, weil es sich als Vision schon vergangener Ereignisse entpuppt. Für viele Fatima-Pilger hingegen steigert es die Bedeutung des Ortes der Marienerscheinung, handelt es sich doch nun bei den Fatima-Geheimnissen um "Prophezeiungen", die sich nach Ansicht des Papstes in der Geschichte des 20. Jahrhunderts und in seinem persönlichen dramatischen Schicksal bewahrheitet haben.
In der Abwägung dürfte sich im Vatikan die Meinung durchgesetzt haben, dass es im Sinne einer Wende zu einer biblisch orientierten Marienfrömmigkeit ist, das "dritte Geheimnis" zu veröffentlichen. Denn um das "dritte Geheimnis" rankten sich seit Jahrzehnten die wildesten Spekulationen. Die Gottesmutter habe einen Dritten Weltkrieg vorausgesagt, behaupteten die einen. Andere waren sich sicher, dass die Erscheinung den Hirtenkindern von Fatima prophezeit habe, die "höchsten Kirchenspitzen würden unter satanischen Einfluss" geraten. Von einem Ende der katholischen Kirche war die Rede, von einer Abschaffung des Papsttums und ganz allgemein vom drohenden Weltuntergang.
Eigentlich sollte die dritte Botschaft, die die Muttergottes im Jahr 1917 verkündet haben soll, schon vor 40 Jahren bekannt gegeben werden. Das habe Maria so gewünscht, berichtet ein Bruder Michael in seinem Buch über das "dritte Geheimnis" unter Berufung auf Aussagen Eingeweihter, auf Dokumente und Veröffentlichungen (http://www.fatima.org.) stattdessen habe eine Pressemitteilung des Vatikans am 8. Februar 1960 schlicht angekündigt, dass die Botschaft von Fatima nicht veröffentlicht werde. Dass Johannes XXIII. die Nachricht nicht enthüllte, habe allein am erschreckenden Inhalt der 20 bis 25 Zeilen langen Botschaft gelegen, mutmaßt Bruder Michael.
Zwei der drei Hirtenkinder starben zwei Jahre nach den Erscheinungen. Die heute 93 Jahre alte Ordensschwester Maria Lucia vom Unbefleckten Herzen war es, die später das "dritte Geheimnis" an den Vatikan weitergegeben hat. Gelesen haben das "dritte Geheimnis" nur Päpste und deren engste Mitarbeiter. Gläubige und Neugierige konnten auch dem überlebenden Hirtenkind Lucia das Geheimnis nicht entlocken. Als sie - wie so oft - danach gefragt wurde, soll Schwester Lucia aber einmal geantwortet haben: "Es steht in den Evangelien und in der Offenbarung des Johannes - lesen Sie die".
Kathpress