Wiener Pastoraltheologe sieht durch den Film grundlegende Fragen über die Verstrickung des Menschen in Gewalt und mögliche Alternativen dazu thematisiert
Wien-Salzburg, 18.3.04 (KAP) In Mel Gibsons Jesus-Film versuche ein Künstler, das Leiden, das sonst meist verdeckt wird, «exzessiv auszumalen»: In einem Interview mit den «Salzburger Nachrichten» (SN) über den Film «Die Passion Christi», der am Donnerstag in Österreich anläuft, attestiert der Wiener Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner dem umstrittenen Streifen über die letzten zwölf Stunden im Leben Jesu eine tiefere Ebene jenseits der «in unglaublicher Aufdringlichkeit gezeigten» Gewalt: Es werde in Szene gesetzt, wozu der Mensch fähig ist, es werde aber auch gezeigt, was an Gewalttaten unbeobachtet stattfindet. Die Gegenwartskultur drücke sich um die Wahrnehmung versteckten Leidens. Er habe seinen Studenten jedenfalls empfohlen, sich den Film, dem er «emotionellen Tiefgang» zugesteht, «mit Kopf und Verstand anzuschauen», so Zulehner.
Gibson mache deutlich, dass es sich um «Männergewalt» handelt, während die Frauen zu den Mitleidenden gehören, betont der Pastoraltheologe. Wo n den Szenen das Leid den Höhepunkt habe, blende Gibson die Bergpredigt und das Abendmahl als «Kontrastgeschichten» ein: «Dieser Mann aus Nazareth macht plötzlich eine andere Form von Menschlichkeit sichtbar, die nicht in diese fürchterliche Leidensproduktion abdriftet. Dann könnte es sein, dass aus der Passion eine Compassion wird, aus dem Leiden ein Mitleiden».
Zulehner zur Frage, ob der Gibson-Film die wichtigen Elemente der christlichen Botschaft gut wiedergibt: «Ja. Aber er hält sich nicht streng an den biblischen Stoff. Der Film hält einer Exegese nicht stand und will das wahrscheinlich gar nicht». Als rassistisch oder antisemitisch empfinde er den Streifen nicht, sagte der Wiener Theologe. Der Film zeige Gewalt mit dem Ziel, dass diese «im Leiden dieses Einen versandet».
Die Gewalt ist das eigentliche Thema
In einem Kommentar für «Kathpress» bezeichnete es Zulehner als «ungerecht, wenn man den Film Gibsons zu schnell auf den theologischen Prüfstand stellt». Es werde rasch klar, dass das Thema «nicht in erster Linie die Leidensgeschichte Jesu ist». Das Grundthema dieses filmischen Epos sei vielmehr «jenes unvorstellbare Ausmaß von Gewalt, dessen Menschen fähig sind». Beim Ansehen des Gibson-Films seien ihm andere Beispiele menschenmöglicher Gewalt in den Sinn gekommen - die durch den belgischen Kinderschänder und -mörder Dutroux verursachten etwa oder die Bilder von den Madrider Attentaten.
«Könnte es also sein, dass sich die oberflächliche Diskussion des Filmes nur allzu gern auf Themen stürzt, die bequemer sind, als dieses unausdenkliche und doch reale Meer von Brutalität und Blutrünstigkeit nicht nur für möglich zu halten, sondern ihm 'ins Auge schauen' zu müssen?», so Zulehners Frage. Wenn das der Fall sei, dann würden sich die Fragen, ob der Film denn exegetisch sauber ist, der christlichen Verkündigung dient, oder gar, ob er antisemitisch ist, erübrigen.
Es gehe im Film «vielleicht gar nicht um die Frage, wer in der Geschichte brutale blutrünstige Gewalt verursacht hat und wer nicht». Vielmehr werde deutlich, dass es keine «Unbeteiligten» gibt, «nicht die religiösen Behörden, nicht die Henker der Besatzung, nicht die Politiker wie der liberale Pilatus, der aus opportunistischer Angst wegschaut und mit in Unschuld gewaschenen Händen mitschuldig wird - und vielleicht ich selbst nicht».
Würde der Film zu solchem Fragen führen, dann könnte er den «unglaublichen Leiden in der Welt unserer Tage Sichtbarkeit verleihen. Das allein würde uns in die Lage versetzen, künftig solche Leiden mit Leidenschaft zu verhindern». Dann aber wäre die Regie-Arbeit Gibsons «theologischer als man auf den ersten Blick meinen könnte», so Prof. Zulehner.
Kathpress
18. mars 2004