Osttimor: Ungebremster Genozid und verletzter Bischof auf der Flucht
Utl.: Bischof von Baucau wurde von Milizionären attackiert -Vatikan fordert Friedenstruppe - Appell an Außenminister Schüssel - Patriarch von Lissabon richtet Botschaft an "Märtyrervolk" =
Dili-Vatikanstadt-Wien, 8.9.99 (KAP) Das Wüten der Milizen und des Militärs der indonesischen Besatzungsmacht in Osttimor geht trotz des angeblich zur Wiederherstellung der Ordnung verhängten Kriegsrechts ungebremst weiter. Die Lage war am Mittwoch vollkommen unübersichtlich, nachdem sämtliche Telefonverbindungen unterbrochen sind.
Mit einem Buschmesser verletzt wurde am Mittwoch der Apostolische Administrator der Diözese Baucau, Bischof Basilio Do Nascimento. Nach dem Angriff auf ihn sei Do Nascimento mit Verletzungen an der Hand in die Berge geflüchtet, berichtete ein kirchlicher Mitarbeiter. Die Verletzungen seien dem Bischof zugefügt worden, als er versucht habe, Flüchtlinge vor Übergriffen pro-indonesischer Milizen zu schützen, teilte der Mitarbeiter mit.
Am Montag hatte Do Nascimento den Friedensnobelpreisträger und Apostolischen Administrator von Dili, Bischof Carlos Filipe Ximenes Belo, bei sich aufgenommen, dessen Haus in der osttimoresischen Hauptstadt Dili von Terror-Banden überfallen und in Brand gesteckt worden war. Belo, der am Dienstag nach Australien ausgeflogen wurde, hatte das indonesische Militär beschuldigt, den Terror in seiner Heimat nach dem Unabhängigkeitsvotum geplant und organisiert zu haben.
Flüchtlinge mit Macheten niedergemetzelt
Die Zahl der Toten durch die von pro-indonesischen Milizen angerichteten Massaker wird bereits mit 1.500 beziffert. Am Dienstag wurden mehr als 40 Menschen in einer katholischen Kirche ermordet, wo sie vor dem Bandenterror Schutz gesucht hatten. Die Milizionäre griffen die Kirche in der Stadt Suai im Südosten der von Indonesien besetzten Inselhälfte an und erschossen ihre Opfer oder metzelten sie mit Macheten nieder, wie eine Mitarbeiterin einer australischen Hilfsorganisation in Darwin berichtete. Unter den Opfern seien auch Frauen und Kinder gewesen. Dabei hätten sich die Angreifer auch von der flehentlichen Bitte eines Priesters nicht dazu erweichen lassen, die Flüchtlinge zu verschonen. Insgesamt hätten etwa 3.000 Menschen in der Kirche Schutz gesucht.
Bischof Belo erklärte dazu in Darwin, was sich derzeit in Osttimor abspiele, sei kein "Bürgerkrieg", sondern ein regelrechter Ausrottungsfeldzug, den die Besatzungsarmee gegen die osttimoresische Bevölkerung führe und seit längerem geplant habe. Die Terror-Milizen würden vollständig vom Militär gesteuert, sagte der von der australischen Luftwaffe nach Darwin ausgeflogene Bischof. Unterdessen werden die Kritik an der indonesischen Regierung und Rufe nach einer Intervention auch ohne Zustimmung Jakartas lauter.
Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR wurden allein aus der Hauptstadt Dili 35.000 Menschen vertrieben. Vergleiche mit der Entvölkerung der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh nach der Machtübernahme der kommunistischen Roten Khmer im Jahr 1975 werden angestellt. Beobachter sprechen von einer "systematischen Säuberung", mit der Befürworter der Unabhängigkeit ins indonesische Westtimor umgesiedelt werden. In UN-Kreisen wird nicht ausgeschlossen, dass die Armee versuchen könnte, 200.000 bis 300.000 Menschen - Osttimor hat rund 800.000 Einwohner - zu vertreiben.
Dili brennt
Augenzeugen berichteten am Mittwoch von neuen Gewaltorgien der Milizen. Der größte Teil der Hauptstadt Dili sei in Rauch gehüllt, zahlreiche Gebäude stünden in Flammen. Überall werde geschossen. "Die Straßen sind ausgestorben", berichtete ein australischer Journalist. Soldaten und Milizen machten inzwischen offen gemeinsame Sache. Hunderte Ausländer hatten auch am Dienstag mit australischen Transportflugzeugen Osttimor verlassen, darunter auch viele Journalisten. Die verbliebenen UNO-Mitarbeiter befinden sich weiter unter Belagerung.
Keine diplomatische Lösung in Sicht
Die radikalen Unabhängigkeitsgegner versuchen mit Unterstützung der Armee, die Entscheidung der Bevölkerungsmehrheit für die Loslösung Osttimors von Indonesien zu sabotieren. Bei der Abstimmung am 30. August hatten sich 78,5 Prozent für die Unabhängigkeit entschieden.
Der vatikanische Außenminister Erzbischof Jean-Louis Tauran forderte am Mittwoch die Entsendung einer UN-Friedenstruppe nach Osttimor. Gegenüber Radio Vatikan sagte Tauran, der Heilige Stuhl unterstütze die Bemühungen der Vereinten Nationen um eine friedliche Lösung in Osttimor. Tauran sagte, dass der Vatikan die rasche Entsendung einer Friedenstruppe im Auftrag der UN fordere.
Weltweite diplomatische Bemühungen um eine mögliche internationale Intervention brachten unterdessen keinen Durchbruch. UNO-Generalsekretär Kofi Annan forderte Jakarta erneut auf, "die Lage so schnell wie möglich unter Kontrolle zu bringen". Wegen der Beteiligung der Armee an den Terrorakten betrachte man das Kriegsrecht als untaugliches Mittel, die Lage in Osttimor zu stabilisieren.
"Wenn die Gewalttaten weitergehen, muss die internationale Gemeinschaft alle Möglichkeiten prüfen, dort einzuschreiten", sagte eine Sprecherin des französischen Außenministeriums. Australiens Außenminister Alexander Downer appellierte vor allem an die USA: "Liberale Demokratien können vor diesem Abschlachten doch nicht die Augen verschließen". Australien versetzte 2.000 in Darwin stationierte Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft. Sie könnten innerhalb von 24 Stunden eingreifen.
Zahlungen an Jakarta gehen weiter
Trotz Gewaltakten und Appellen kirchlicher Organisationen halten Indonesiens Geldgeber an ihrer Unterstützung für das Land fest. Der britische Außenminister Robin Cook sagte, ein Stopp der Zahlungen würde die Krise in Osttimor nicht beenden. Auch Japan erklärte, es werde keine Gelder zurückhalten.
Das Paket des Internationalen Währungsfonds, das dem Land aus seiner schweren Wirtschaftskrise helfen soll, hat den Umfang von 43 Milliarden Dollar (520 Milliarden Schilling). Würden die Kredite eingefroren, könnte das Land in eine wirtschaftliche und politische Katastrophe schlittern, befürchten die Geberländer.
Die politische Instabilität Indonesiens lässt einen Stopp der Kredite unwahrscheinlich erscheinen. Im Juni wurden in dem Inselreich die ersten demokratischen Parlamentswahlen seit 40 Jahren abgehalten. Im November steht die Präsidentenwahl an, bei der auch Präsident Bacharuddin Jusuf Habibie kandidiert. Massiver Druck von außen könnte die demokratschen Ansätze gefährden. Zudem könnte er auf zahlreichen Inseln Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit schüren, wird argumentiert.
Dreikönigsaktion appelliert
In Österreich hat am Mittwoch die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar Österreichs (DKA) einen Kreditstopp gefordert. Die Bundesregierung solle mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bewirken, dass das Paket des Währungsfonds für Indonesien eingefroren wird, so DKA-Geschäftsführer Heinz Hödl am Mittwoch. In einem Schreiben an Außenminister Wolfgang Schüssel forderte Hödl das Außenamt und die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass Indonesien die Stationierung einer internationalen bewaffneten Friedenstruppe unter UN-Mandat akzeptiert. Der UN-Sicherheitsrat solle den Einsatz beschließen, und Indonesien müsse nach der Stationierung einer Friedenstruppe sein Militär aus Osttimor abziehen.
Hödl äußerte die Befürchtung, dass die Internationale Staatengemeinschaft wie schon 1975 Osttimor im Stich lasse. "Der Mut der Menschen wird mit Mord und Vertreibung vergolten", so der DKA-Leiter. Was sich derzeit ereigne, sei ein Genozid, und das Militär versuche nicht, die Gewalttaten der Milizen zu verhindern. Vielmehr unterstütze es die Milizen offen; "Attacken werden weitgehend gemeinsam durchgeführt", erinnerte Hödl.
Die Entsendung einer bewaffneten Friedenstruppe forderten auch die katholischen Bischöfe von England und Wales. Die Situation auf der Insel schreie förmlich nach einem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, erklärte der für internationale Fragen zuständige Bischof David Konstant von Leeds. Die gesamte wirtschaftliche und militärische Hilfe für Indonesien müsse eingestellt werden. Die internationale Gemeinschaft dürfe die Gewalt nicht dulden.
Großer Gottesdienst in Lissabon
Mit Demonstrationen, Mahnwachen in Kirchen und Aufrufen von Politikern bekundet in Europa vor allem Portugal seine Solidarität mit den Menschen in Osttimor. In Lissabon, Porto und anderen Städten riefen Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen für die nächsten Tage zu Großkundgebungen gegen den Terror pro-indonesischer Milizen in der früheren portugiesischen Kolonie auf.
Der Patriarch von Lissabon, Jose da Cruz Policarpo, nahm am Dienstagabend an einem Osttimor-Solidaritätsgottesdienst in der Kathedrale der portugiesischen Hauptstadt teil. Das Gebet für den Frieden in Osttimor war von der großen katholischen timoresischen Gemeinde in Portugal organisiert worden. Policarpo verlas in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Portugiesischen Bischofskonferenz eine "Botschaft für das Märtyrervolk von Osttimor".
Parlamentspräsident Antonio de Almeida Santos betonte in einer Erklärung, die internationale Gemeinschaft, insbesondere UNO und Weltsicherheitsrat, könne nicht länger mit einer entschiedenen Antwort auf die Situation in Osttimor zuwarten. Es stehe das Weltgewissen, die Menschenrechte, das Leben und die Freiheit eines "heldenhaften Märtyrervolkes" auf dem Spiel, das seit einem Vierteljahrhundert für sein Recht auf Selbstbestimmung kämpfe. Dieser Kampf drohe nun, vergebens gewesen zu sein. (Forts.mögl.) K199905035
KI/KAP (KathPress/Katolsk Informasjonstjeneste)