Totale "ethnische Säuberung" befürchtet
Lissabon-Vatikanstadt-Berlin, 16.9.99 (KAP) Portugiesische Jesuiten haben vor möglichen Bombenangriffen indonesischer Truppen auf osttimoresische Flüchtlinge gewarnt. Indonesische Truppen seien derzeit dabei, "mit aller Gewalt" in die Flüchtlingslager einzudringen, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung des Provinzials der portugiesischen Jesuiten, Amadeu Pinto. Nachdem der Eingriff der UNO-Blauhelme feststehe, bereite die Armee Angriffe gegen Flüchtlinge "auf dem Boden und aus der Luft" vor. Pinto berief sich auf ein Telefongespräch mit Flüchtlingen eines Flüchtlingslagers in der Nähe der osttimoresischen Hauptstadt Dili.
Indonesien könne die Gewaltausbrüche nicht mehr länger auf timoresische Milizen schieben, so Pinto weiter. Die Paramilitärs seien für die Luftangriffe nicht verantwortlich zu machen, weil sie nicht über eine Luftwaffe verfügten. "Offensichtlich hat die indonesische Regierung vor, die Landkarte von Osttimor ethnisch total zu säubern", so der Jesuit. Bisher müsse die Regierung nicht einmal Angst davor haben, bestraft zu werden. Es müsse unbedingt verhindert werden, so Pinto, dass es beim Eintreffen der Schutztruppe "nichts mehr zu schützen gibt".
Auch die Ordensgemeinschaft der Karmelitinnen warnt - so der vatikanische Missionsnachrichtendienst "Fides" am Mittwoch -, dass die indonesischen Truppen sich auf entsprechende Angriffe in den Bergen südlich der Hauptstadt Dili vorbereiten. Die Regionaloberin des Ordens in Dili, Maria del Carmen Aparicio, wurde von "Fides" mit der Aussage zitiert, ein solches Bombardement wäre ein "Gipfel des Terrorismus" kurz vor der Ankunft der UNO-Blauhelme.
Laut "Fides" bestätigten auch verschiedene osttimoresische Widerstandsgruppen, dass die Armee solche Bombardements vorbereite. "Sie werden an verschiedenen Fronten angreifen und die Paramilitärs vorschicken", zitierte die Agentur einen der Führer des Widerstandes, David Ximenes. "Wir wissen nicht mehr, wo wir uns verstecken sollen. Unsere Kinder sterben vor Hunger", sagte Ximenes.
Elend auch in Westtimor
Erste humanitäre Hilfsgüter sollen innerhalb der nächsten 48 Stunden von Australien aus für die in den Wäldern versteckten Flüchtlinge abgeworfen werden. Die Caritas erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass sich die humanitären Katastrophe auch auf Westtimor erstreckt. In den Flüchtlingslagern seien Krankheiten und Epidemien zu befürchten, weil sanitäre Einrichtungen sowie Medikamente gegen Malaria und Tuberkulose fehlten. Nach Angaben der Caritas hat jeder hundertste Flüchtling in den Lagern Tuberkulose. 80 Prozent aller Babys in den Lagern seien unterernährt.
Die beiden Diözesen auf Westtimor, Kupang und Atambua, hätten bereits Flüchtlinge aufgenommen, so die Caritas. Vor Ort hätten sich Caritas-Komitees gebildet, die über Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften Nahrungsmittel verteilen.
Die amerikanische Caritas stellte 1.200 Tonnen Reis zur Verfügung. "Caritas Internationalis", das internationale Caritas-Netzwerk, startete ein Notprogramm mit dem Ziel, 100.000 Menschen in Ost- und Westtimor mit Nahrungsmittel und Medikamenten zu versorgen. Das Programm steht unter der Leitung der australischen Caritas.
Weltbank will weiterzahlen
In Berlin sagte am Donnerstag eine Sprecherin der Weltbank, die Weltbank sei gegen einen Stopp der Milliardenkredite an Indonesien. Dies sei kein geeignetes Mittel, um die Gewalt in Osttimor zu beenden. Die Einstellung der Zahlungen träfe nicht die Regierung, sondern lediglich die Menschen, die mit Hilfe der Gelder in Entwicklungsprojekten unterstützt würden. Es sei wichtiger, mit der Regierung "im Dialog" zu bleiben.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) habe seine Zahlungen dagegen vorerst eingefroren, so die Sprecherin weiter. In diesem Fall handle es sich aber um Zahlungsbilanzhilfen, die sich nicht direkt auf Projekte auswirkten.
Bei der Jahrestagung der Weltbank und des IWF in der kommenden Woche in Washington wird das Thema von den Mitgliedsländern diskutiert. Die deutsche Entwicklungshilfe-Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hatte sich in der vergangenen Woche für einen Zahlungsstopp an Indonesien ausgesprochen.
Menschenrechtsverletzungen dokumentieren
Nach Ansicht von "Amnesty International" ("ai") soll die UN-Friedenstruppen für Ostimor die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Die Täter dürften nicht straffrei ausgehen, sagte die neue Generalsekretärin der deutschen "ai"-Sektion, Barbara Lochbihler, am Donnerstag vor Journalisten in Berlin. Die für die Verbrechen verantwortlichen indonesischen Soldaten müssten umgehend vom Dienst suspendiert und die gewalttätigen Milizen entwaffnet werden. Die Teilnehmer der UN-Mission sollten darin geschult werden, Zeugenaussagen so aufzuzeichnen, dass sie vor Gericht verwendet werden könnten.
Die "ai"-Generalsekretärin forderte einen Stopp der deutschen Waffenlieferungen nach Indonesien. Sie kritisierte, die in den vergangenen Jahren von deutscher Seite gebotenen Trainingsmöglichkeiten für Polizei und Militär hätten nicht zu deren "Demokratisierung" beigetragen.
Europaparlament: Osttimor anerkennen
Das Europaparlament forderte am Donnerstag die Europäische Union (EU) und die 15 EU-Mitgliedstaaten zur diplomatischen Anerkennung eines unabhängigen Staates Osttimor auf und verlangte die schnellstmögliche Aufnahme diplomatischer Beziehungen. In der in Straßburg verabschiedeten Resolution werden die EU-Staaten und die internationale Gemeinschaft aufgerufen, die Finanz, Wirtschafts- und Militärhilfe für Indonesien bis zur Normalisierung der Lage in Osttimor einzustellen. Die Verantwortlichen für die Gräueltaten in Osttimor müssten vor Gericht gestellt werden. Dazu solle die UNO ein Verzeichnis der begangenen Verbrechen anlegen und ein internationales Gericht einrichten.
Dem Volk von Osttimor müsse so rasch wie möglich humanitäre Hilfe gewährt werden. Es seien die Voraussetzungen für die Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge sowie internationaler Hilfsorganisationen und Medien zu schaffen. Darüber hinaus solle die EU ein Programm für Wirtschaftshilfe für Osttimor schaffen. Entsprechende Gelder sollten bereits im Haushalt des kommenden Jahres bereitgestellt werden. (Forts.mögl.)
K199905229
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