Auf dem Sinai betritt der Papst am Samstag ältesten biblischen Boden
Kairo, 23.2.00 (KAP) Wenn Papst Johannes Paul II. am Samstag seinen Fus auf den Sinai setzt, betritt er ältesten biblischen Boden. So floh Moses, nach alttestamentlicher Überlieferung, aus Ägypten zum Berg Horeb, dem heutigen Djebel Musa. Dort soll er die sieben Töchter Jitros gefunden haben, die ihre Herden an jener Quelle tränkten, die heute noch an der Nordseite des Katharinenklosters zu sehen ist. Nach der Heirat mit Zippora hütete Moses seine Herden und läuterte seine Seele vierzig Jahre in der Stille und Einsamkeit der Sinai-Wüste. Hier erschien ihm Gott im Wunder des brennenden Dornbusches und befahl ihm, nach Ägypten zurückzukehren, die Kinder Israels zum Berg Horeb zu führen und Gott zu dienen.
Das alttestamentliche Gottesvolk durchquerte den Sinai im 13. Jahrhundert v. Chr. auf seinem Weg aus Ägypten, wo sie vom Pharao zur Fronarbeit herangezogen wurden, in das gelobte Land Kanaan. Drei Monate nach ihrem Auszug erreichten die Israeliten den heiligen Berg Horeb, wo Gott mit ihnen einen Bund schloss und sie sein Gesetz erhielten, jene Basis, auf der sie ihre religiöse und soziale Organisation aufbauen sollten.
Der genaue Weg der Israeliten aus Ägypten durch das Rote Meer ist in Gelehrtenkreisen ebenso umstritten wie die exakte Bestimmung des Mose-Berges. Als Ort dieses Bundesschlusses gilt traditionell der 2.285 Meter hohe Djebel Musa im südlichen Bergmassiv der Halbinsel. Der Mosesberg liegt an der alten Handelsstrase, die über die Oase Feiran zum Golf von Akaba führt. Die Route des israelitischen Wüstenzugs ist aber archäologisch schwer nachweisbar. Manche Forscher halten den 2.000 Meter hohen Djebel Serbal nahe Feiran für den "Moses-Berg", andere vermuten ihn im Norden der Sinai-Halbinsel, einige im Negev im heutigen Südisrael oder östlich von Akaba.
Laut der alttestamentlichen Überlieferung floh später auch der Prophet Elias an den Sinai. Gott erschien ihm und forderte ihn auf, in seine Heimat zurückzukehren und seinen Auftrag zu Ende zu führen. Auch die Heilige Familie zog durch den Sinai nach Ägypten: Auf der Flucht vor Herodes nahm Josef seine Frau Maria und Jesus und versteckte sich mit ihnen eine Zeit lang am Nil.
Anfänge im 2. Jahrhundert
Die Sehnsucht, Gott nahe zu sein, führte auch viele frühen Christen in den Sinai. So gehen die Anfänge der klösterlichen Gemeinschaft des Katharinenklosters zurück bis ins 2. nachchristliche Jahrhundert. Damals siedelten sich die ersten Eremiten, getrieben von der Suche nach Frieden, Stille und Einsamkeit, in den Felshöhlen am Fuse des Moses-Berg in 1.500 Meter Höhe an. Sie lebten in äuserster Armut und Abgeschiedenheit und verliesen ihre Höhlen nur an Feiertagen, um sich zum Gottesdienst zu versammeln. Nicht wenige der Eremiten wurden von Nomaden überfallen und getötet. Um die Einsiedler vor Überfällen zu schützen und ihnen ein eigenes Gotteshaus zu geben, errichtete Kaiserin Helena, die Mutter Konstantin des Grosen, um 330 eine kleine Kirche und einen Turm genau an jener Stelle, wo sich Gott dem Moses im Wunder des brennenden Dornbusches gezeigt hat.
Die eigentliche Wende kam im 6. Jahrhundert, als Kaiser Justinian den Bau der heutigen grosen ummauerten Klosterfestung und der prächtigen Kirche anordnete. Die Festungsmauer misst 88 mal 75 Meter und ist bis zu 25 Meter hoch. In der Folge stellten arabische Kalifen, türkische Sultane und auch Napoleon das Katharinenkloster unter ihren Schutz und bewahrten es so vor Plünderung - im Kloster wird die Abschrift entsprechender Dokumente von Mohammed und von osmanischen Kalifen sowie ein Edikt von Napoleon gezeigt. Seinen Namen erhielt das Kloster im 11. Jahrhundert, als in seiner Nähe die Gebeine der heiligen Katharina von Alexandrien, einer frühchristlichen Märtyrerin, gefunden wurden. Die Blütezeit des Klosters folgte im 14. Jahrhundert, als die Gemeinschaft mehr als 300 Mönche zählte.
24 Mönche, die meisten sind Griechen
Heute leben an dem geschichtsträchtigen Ort 24 griechisch-orthodoxe Mönche, vorwiegend aus Griechenland stammend. Seit dem 15. Jahrhundert ist das Katharinenkloster ein autokephaler - eigenständiger - Erzbischofssitz. Der Erzbischof wird jeweils vom griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem geweiht. Derzeitiger Erzbischof ist Damianos. Vom Katharinenkloster führen zwei Wege auf den Gipfel des Moses-Berges. Der direkte Weg führt über 3.750 Stufen, die im Felsen einst von den Mönchen angelegt wurden, zum Gipfel. Der andere Weg ist ein ausgetretener Pfad, auf dem sich konditionsschwache, aber zahlungskräftige Touristen auch von Kamelen hinauftragen lassen können.
Die Mönche des Klosters halten die Tradition der Wüstenväter hoch und verbringen ihr Leben hauptsächlich in Gebet und Arbeit. Der Tag beginnt für die Mönche um vier Uhr früh mit den Morgengebeten und der Liturgie, die bis 7.30 Uhr dauern. Gemeinsam mit den über 50 im Klosterbereich tätigen Beduinen halten sie die baulichen Anlagen in Stand und betreuen auch den immer gröser werdenden Pilger- und Touristenstrom - jährlich sind es bereits mehr als 100.000. Um den Mönchen trotz des Touristenrummels ausreichend Gelegenheit zu Ruhe und Kontemplation zu geben, wurde die Besuchszeit beschränkt.
Kostbarste Kunstschätze
Die besonderen Kostbarkeiten des Klosters, nämlich die Bibliothek und die Ikonensammlung, sind neugierigen Besucheraugen im allgemeinen ohnehin entzogen und aus Sicherheitsgründen nicht zur Besichtigung freigegeben. Die Klosterbibliothek, die an Umfang und Wert der Manuskripte nur von der des Vatikan übertroffen wird, umfasst mehr als 3.400 Handschriften und 5.000 Bücher. Das wertvollste Stück ist der sogenannte "Codex Syriacus" aus dem 5. Jahrhundert.
Vom berühmten "Codex Sinaiticus", einer fast vollständigen griechischen Bibelhandschrift aus dem 4. Jahrhundert, ist nur mehr eine Faksimileausgabe erhalten. Der Codex wurde vom deutschen protestantischen Bibelforscher Konstantin von Tischendorf im 19. Jahrhundert mitgenommen und befindet sich heute im britischen Nationalmuseum. Der aus Sachsen stammende Tischendorf (1815-1874) hat auf seinen Forschungsreisen eine Reihe von Bibelhandschriften entdeckt. 1844 fand er 43 Blätter einer griechischen Bibelhandschrift. Mit Hilfe der russischen Regierung gelang es ihm 1859, den Rest dieser Bibelhandschrift vom Katharinenkloster in seine Hände zu bringen. Er gab sie nicht mehr zurück, sie gelangte schlieslich nach Grosbritannien.
Die Mönche des Katharinenklosters fordern nun in einer offiziellen Eingabe an das britische Parlament die Rückgabe. Das Parlament in London will sich im März generell mit dem Thema Beutekunst befassen. Nach Angaben der Zeitung "The Sunday Times" ist Prinz Charles ein Verfechter für die Rückgabe aller gestohlenen Kunstwerke.
Auch die Ikonengalerie des Klosters mit Sammelstücken aus dem 6. Jahrhundert lässt sich nur mit Superlativen beschreiben. Die mehr als 2.000 Ikonen, vorwiegend aus Blattgold, sind die ältesten und wertvollsten Werke, die die Ikonenkunst je geschaffen hat. Hier befinden sich einige der wenigen Bilder, die den Bildersturm des 8. Jahrhunderts überstanden haben.
Renovierung dringend notwendig
Der Fortbestand dieser unschätzbaren Kulturgüter war und ist bis heute ernsthaft gefährdet. Da das Katharinenkloster seit dem 6. Jahrhundert völlige Unabhängigkeit von Kirche und Staat geniest, fühlte sich lange niemand für die Instandhaltung der Anlage verantwortlich. Die letzte umfassende Restaurierung und Modernisierung der baufälligen Mauern wurde von russischen Zaren im 19. Jahrhundert vorgenommen.
"Auf dem Papier" geniest das Katharinenkloster heute als eine religiöse Institution von internationaler Bedeutung die Unterstützung aller christlichen Kirchen und der UN-Organisationen, doch die Realität sieht anders aus. Nach Regenfällen steht, vor allem im Winter, stehen Teile des Klosters monatelang unter Wasser. Aussderdem bröckeln die Ausenmauern ab, Teile der Kirchenfassade sind schon herabgestürzt. Die Feuchtigkeit dringt in die Räume und gefährdet die wertvollen Handschriften. Auch ein Grosteil der Ikonensammlung ist dringend restaurierungsbedürftig. Darüber hinaus sind durch das Erdbeben vom 22. November 1995 die schon bestehenden Risse im Mauerwerk noch breiter geworden.
Das Katharinenkloster, wegen seines wehrhaften Charakters auch als "Wüstenfestung Gottes" bezeichnet, bedarf also dringend einer Restaurierung. Spitzenpolitiker aus aller Welt, auch aus Westeuropa, hatten sich nach Besuchen im Kloster immer wieder bestürzt gezeigt von der Baufälligkeit und umgehend Hilfe versprochen; die Hilfe blieb meistens aus.
Ein Eintrittsgeld von den Besuchern zu verlangen, verbieten die Ordensregeln, auch im angeschlossenen Hotel, das den Pilgern günstigen Preisen ein Bett und drei Mal eine warme Mahlzeit bietet, darf nicht gewinnorientiert gearbeitet werden. Die Mönche haben dazu eine klare Meinung: "Das Katharinenkloster ist ein religiöser Ort, der trotz aller finanzieller Schwierigkeiten für alle Besucher weiterhin frei zugänglich sein muss."
1995 beschloss schlieslich die Europäische Union, die Finanzierung eines Nationalparks auf dem Berg Sinai mit umgerechnet 75 Millionen Schilling zu unterstützen. Ein Zehntel dieser Summe wurde für die Instandsetzung des gefährdeten Katharinenklosters gewidmet. Die Sanierungskosten belaufen sich aber auf ein mehrfaches.
Bedenken der Mönche gegen Papstvisite
Dem Besuch von Johannes Paul II. sehen die Mönche des Katharinenklosters mit durchaus gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits wollte man dem Papst nicht verwehren, als "Pilger" in das Kloster zu kommen. Andererseits äuserten manche Mönche und auch Erzbischof Damianos Befürchtungen, mit der Visite des Papstes könnte der orthodoxe Charakter des Klosters verdeckt werden und der Papst könnte an diesem geschichts- und symbolträchtigen Ort vor aller Welt seinen universalen christlichen Führungsanspruch unterstreichen.
Kathpress