Er steht seit 1990 an der Spitze der zahlenmäßig größten orthodoxen Kirche - Innerkirchlich wie in den Beziehungen zu den anderen Kirchen steuert Aleksij einen Weg einer schwierigen Balance zwischen «Reformern» und «Bremsern»
Moskau, 17.2.04 (KAP) Der Patriarch von Moskau und ganz Russland, Aleksij II., wird am 23. Februar 75 Jahre alt. Er steht seit 1990 an der Spitze der russischen Orthodoxie und hat ihren Wiederaufbau und ihre Erneuerung nach sieben Jahrzehnten kommunistischer Unterdrückung eingeleitet. Innerkirchlich sucht Aleksij dabei eine Balance zwischen reformorientierten Kräften und Strömungen, die stark konservativ, antiökumenisch und teilweise auch nationalistisch orientiert sind. Vor mehr als einem Jahr traten gesundheitliche Probleme Aleksijs zu Tage, Nachfolgespekulationen folgten auf den Fuß.
Die Neuordnung des Verhältnisses zu Staat und Gesellschaft gestaltete sich für Patriarch Aleksij angesichts der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in den neunziger Jahren zunächst schwierig. In den letzten Jahren, besonders seit dem Amtsantritt von Präsident Wladmir Putin als Staatspräsident, haben sich diese Beziehungen aber konsolidiert und deutlich verbessert.
Gespannt blieb dagegen bis heute das Verhältnis zur katholischen Kirche. Aleksij verteidigt den Anspruch der russischen Orthodoxie auf ihr traditionelles «kanonisches Territorium» und hält den Katholiken vor, in Russland zu missionieren und orthodoxe Gläubige abzuwerben. Ein Treffen mit Papst Johannes Paul II., über das seit Jahren verhandelt und spekuliert wird, ist bisher nicht zu Stande gekommen.
Baltischer Adelsspross
Aleksij Michailowitsch Ridiger - Sproß einer baltischen Adelfamilie - wurde am 23. Februar 1929 in der estnischen Hauptstadt Tallinn (Rewal) geboren. Nach seiner Ausbildung am Priesterseminar in St. Petersburg empfing er 1950 die Priesterweihe. Von 1961 bis 1986 war er Metropolit von Tallinn und Estland. Anschließend wurde er Metropolit von St. Petersburg und Nowgorod. Am 7. Juni 1990 wählte ihn ein Landeskonzil aus sechs Kandidaten mit 166 von 317 Stimmen zum Nachfolger des verstorbenen Patriarchen Pimen und damit zum 15. Patriarchen von Moskau. Die Wahl dürfte seit langem die erste ohne staatliche Einmischung gewesen sein. In der Epiphanie-Kathedrale in Moskau wurde Aleksij am 10. Juni 1990 in sein Amt als Patriarch eingeführt.
Als Metropolit galt Aleksij galt zunächst als politisch unauffällig; im Geheimbericht über die orthodoxe Kirche, den Wasilij Furow vom Rat für die religiösen Angelegenheiten 1975 für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei erstellte, ordnete er Aleksij in die Reihe jener Oberhirten ein, die «keine besondere Aktivität zur Ausweitung der Orthodoxie an den Tag legen». Der Metropolit änderte jedoch seine Haltung. Er war der erste hohe orthodoxe Amtsträger, der im September 1987 öffentlich Kritik an den Staat-Kirche-Beziehungen übte und gleiche Rechte für gläubige wie nichtgläubige Bürger forderte.
Ringen mit Konstantinopel um Einfluss
Gleichzeitig setzte er sich energisch für eine Abschaffung der diskriminierenden Religionsgesetze von 1929 und eine neue rechtliche Grundlage der Glaubensgemeinschaften ein. Wenige Monate später kündigte Gorbatschow das neue «Gesetz über die Gewissensfreiheit» auf der Basis der damaligen Forderungen Aleksijs an.
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems und dem Zerfall der Sowjetunion sah sich der Moskauer Patriarch mit der Abspaltung nationaler Kirchen konfrontiert, etwa Teilen der Orthodoxie in der Ukraine und in Estland. Im Streit um die estnische Kirche kam es sogar zu einem vorübergehenden Bruch mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Generell ist das Verhältnis zu Konstantinopel vom Ringen darum geprägt, wer in der Weltorthodoxie das größere Gewicht hat.
Fortschritte hat Patriarch Aleksij in den letzten Monaten bei der Aussöhnung mit der Russisch-orthodoxen Auslandskirche (ROAK; Synode von Jordanville) erzielen können. Erstmals war eine Delegation der ROAK in Moskau, die Synode in Jordanville stimmte Verhandlungen über die Wiederaufnahme der Kirchengemeinschaft zu. Die ROAK entstand in der Folge der Oktoberrevolution von 1917, die zu einer massiven Fluchtbewegung aus Russland führte. Ein Teil der russischen Bischöfe im Ausland unterstellte sich später Konstantinopel, die anderen betrachteten sich ab 1927 als einzig legitime Erben der vorrevolutionären russischen Kirche und erklärten das Moskauer Patriarchat (vor allem den «Locumtenens» Metropolit Sergij) wegen «Hörigkeit gegenüber dem Sowjet-Regime» für unkanonisch. Nach der politischen «Wende» von 1989 gründete die Auslandskirche Dutzende von Gemeinden in Russland.
Druck auf Weltkirchenrat erhöht
In den ökumenischen Beziehungen zu den anderen christlichen Kirchen trat Patriarch Aleksij stark auf die Bremse, ohne jedoch den Dialog abzubrechen. Zusammen mit den anderen orthodoxen Kirchen erzwang er eine Reform des Weltkirchenrates. Ziel war die stärkere Berücksichtung orthodoxer Interessen und Positionen im Rat. Mit einer teilweisen Suspendierung der Mitarbeit der russischen Orthodoxie in den zentralen Gremien des Weltkirchenrates hielt die russische Orthodoxie, mit weit mehr als 100 Millionen Gläubigen die größte Mitgliedskirche, den Druck aufrecht.
Kritik am «Westen»
Der Dialog Moskaus mit der katholischen Kirche ist vorerst weitgehend auf Eis gelegt. Grund dafür ist das Wiederaufleben der unierten Kirchen in einigen Ländern Osteuropas, insbesondere in der Ukraine. Auch wirft Moskau der katholischen Kirche vor, in Russland zu missionieren und ihr damit Gläubige abzuwerben. Ein für Juni 1997 geplantes Treffen Aleksijs mit Papst Johannes Paul II. in Österreich scheiterte an den ungeklärten Konflikten; Patriarch Aleksij wäre, wie kolportiert wird, persönlich zu einem solchen Treffen bereit, im Heiligen Synod finde sich dafür aber nicht die nötige Mehrheit.
Kritik äußerte Aleksij II. wiederholt generell an der Politik und der gesellschaftlichen Entwicklung und Lebensweise des «Westens» und dessen «Expansion» in orthodoxe und muslimische Kulturkreise (manche Beobachter sehen darin ein spätes Echo auf die Kritik der russischen «Slawophilen» am «verfaulten Westen» - gniloj zapad - im 19. Jahrhundert). So verurteilte er nicht nur entschieden den Irak-Krieg, sondern warf den Christen im Westen vor, die Muslime zu zwingen, «sich fremden gesellschaftlichen und politischen Strukturen zu unterwerfen». Schuld an der Tragödie des 11. September trügen jene, so der Patriarch, «die die heutige Weltordnung der Ungerechtigkeit, der ungleichmäßigen Verteilung von Macht und Reichtum zwischen Ländern und Kontinenten» beschlossen hätten.
Keine Absicht, abzudanken
Am 28. Oktober 2002 erlitt der Moskauer Patriarch während eines Besuches in Astrachan an der Wolga einen Herzinfarkt. Er hat seit längerem mit Herzproblemen zu kämpfen. Nach einer langen Rekonvaleszenzphase erkrankte er im April 2003 an einer Lungenentzündung und konnte die Oster-Liturgie, die etwa fünf Stunden dauert, nicht feiern. Am 19. Mai wurde er erneut ins Moskauer Zentralkrankenhaus eingeliefert. Nach offizieller Version litt er an einer Grippe.
Nach der langen Absenz des Patriarchen wurden in der Mai-Sitzung des Heilige Synods zahlreiche Umbesetzungen in der Kirchenleitung vorgenommen. Nach Ansicht von Beobachtern stärkten diese die Nachfolgechancen für den «zweiten Mann» in der russischen Kirchenleitung, Metropolit Kyrill von Smolensk und Kaliningrad, Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Das Patriarchat dementierte umgehend Berichte von einem «Nachfolgekampf». Der Patriarch ist auf Lebenszeit gewählt, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass Aleksij II. an vorzeitige Abdankung denkt. In den letzten Monaten hat der Patriarch die Zügel wieder in die Hand genommen. Aleksijs Besuch in seiner estnischen Heimat im September des Vorjahrs gestaltete sich - zum Missvergnügen der estnischen Nationalisten - zu einem Triumphzug.
Kathpress
17. februar 2004